Ein Reise von Stuttgart nach Sofia gerät zur Abrechnung mit dem Vater.
Rezension
Ein böses Buch, da ist sich die Literaturkritik einig: ein böses Buch, das fast kein gutes Haar an Bulgarien lässt, dass mir dennoch in seinen Überzeichnungen zutreffend erscheint. Glaubwürdig sind die Passagen, die die Hässlichkeit realsozialistischer Plattenbauten mit den neumodischen Hotel- und Casinobauten zusammen sehen. Glaubwürdig auch die Ödnis und zerstörte Landschaft der brachen Industriegebiete, die nach dem Rutsch in den Kapitalismus den Bach runter sind... Darüber hinaus aber auch: Ein böses Buch, das voller Wut und Hass mit dem längst toten Vater abrechnet. Ein Roadmovie, wie auch in fast allen Besprechungen zu lesen ist, der quer durch Bulgarien führt. Eine irrwitzige Geschichte über die Überführung längst verwester Leichen und die Erzählung einer harmlosen kleinen Liebelei. Die Autorin verfasst ein stark autobiografisches Buch, selbst ist sie - wie die Protagonistin des Buches - väterlicherseits bulgarischer Abstammung. Selbst entstammt sie mütterlicherseits dem schwäbischen Kleinbürgertum. Und höchstwahrscheinlich hat sich auch ihr Vater tatsächlich umgebracht, als sie 9 Jahre alt war. Mag sein. Das wissen wir nicht genau. Die Erzählerin des Buches jedenfalls findet sich jetzt - mit Mitte 40 - auf der Rückbank eines Daihatsu wieder und fährt mit einem entfernten Verwandten und der charakterlich völlig anders gearteten Schwester - die sanftmütig und freundlich ist - durch Bulgarien. Zuvor aber haben sie - auf Einladung eines schwerreichen Verwandten - die sterblichen Überreste etlicher Bulgaren, die im Schwäbischen beieinander wohnten und beieinander begraben worden waren - auf einen großen Friedhof in Sofia überführt. Der Leichenzug, der Tross aus schwarzen Wagen und Leichenwagen, deren Dächer skurril kitschig gestaltet waren, führte sie auf einer mehrtägigen Reise von Stuttgart nach Sofia. Diese Reise gibt Lewitscharoff Anlass zu den schönsten Passagen ihres Romans, wenn sie nämlich liebevoll detailliert und sachkundig die Gemeinschaft der Exilbulgaren aufs Korn nimmt, deren Werden und Wehen verfolgt, das Schicksal deren in Deutschland geborenen und etablierten Kinder untersucht und schonungslos Tricks und Ticks ans Licht zerrt. Das ist amüsant zu lesen. Bei ihrer Reise im Daihatsu nun strömen in ununterbrochenem Rede- und Denkfluss Erinnerung an diese Leichenüberführung, Erinnerungen an ihre Kindheit, Erinnerungen an ihren Vater, Beschreibungen des Landes und der Leute, Beobachtungen zu Landschaft und Architektur durcheinander. Ein Lesevergnügen? Manchmal. Meistens aber entstand jedenfalls bei mir der Eindruck einer bösartigen Abrechung mit einem Toten und dessen Herkunft. Auch das hat mir auf die Dauer das Buch verleidet. Warum dieses Buch den Preis der Leipziger Buchmesse verliehen bekommt, bleibt mir ein Rätsel. Insgesamt aber bestätigt sich ein Trend zum Dunklen, Hoffnungslosen (Katharina Hackers "Habenichtse" gingen schon in dieselbe Richtung.). Lewitscharoff kann auch anders, jedenfalls manchmal reißt sie die Begeisterung ins Helle und Schwärmerische. Deshalb sei allen Lesenden zum Trost das Kapitel "Gold" empfohlen: hier verliert sie sich im Jubel über die Schönheit eines Frauenklosters und dessen Ikonen, dass es ein Genuss ist. Aber das war´s auch schon. Danach geht es wütend weiter. Schade.
Gewinner in der Kategorie "Belletristik" des Preise der Leipziger Buchmesse 2009. Empfohlen für Literaturkreise mit geübten LeserInnen.Rezensent: Christiane Thiel
Personen: Lewitscharoff, Sibylle
Lewitscharoff, Sibylle:
Apostoloff : Roman / Sibylle Lewitscharoff. - 1. Aufl. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2009. - 247 S. ; 21 cm
ISBN 978-3-518-42061-4 geb. : EUR 18.90
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik, Sammlungen - Buch