Empfinden Sie Graffiti plötzlich nicht mehr als Kunst, sondern als Schmiererei? Während früher "legal, illegal, scheißegal" der eigene Leitspruch war, bricht neuerdings ständig ihr innerer Hausmeister hervor? Autor Reinhard Mohr geht nachdenklich, gleichzeitig aber auf vergnügliche Weise der Frage nach, wer schuld daran ist, dass man seinem Vater immer ähnlicher wird.
Rezension
"Wer in seiner Jugend kein Kommunist war, hat kein Herz", soll Winston Churchill einmal gesagt haben, "aber wer es im Alter noch ist, der hat keinen Verstand". Der Publizist Reinhard Mohr, Jahrgang 1955 und mit Sponti- und K-Gruppen-Vergangenheit, wendet die Aussage nun auf die deutschen Realitäten des Jahres 2013 an. Seine gesellschaftspolitische Analyse ist so unterhaltsam wie meinungsfreudig. Im altlinken Milieu hat Mohr immense Selbstgerechtigkeit und Heuchelei ausgemacht. So berichtet er von Grünen-Politikern, die multikulturelles Miteinander predigen, die eigenen Kinder aber lieber auf Schulen mit geringem Migranten-Anteil schicken. Der Aufbruch politisch progressiver Kräfte im Gefolge der 68-er hat vielfach erstarrtem Besitzstandsdenken Platz gemacht, beobachtet der Autor mit Erschrecken. "Es ist die irre Wirklichkeit, die mich auf all die komischen Gedanken bringt", schreibt er über die Wandlung seiner Weltsicht weg vom "pseudomoralischen Größenwahn". Henryk M. Broder (noch so einer, der gern gegen den Strich bürstet) bezeichnet das im Nachwort zu diesem empfehlenswerten Buch lieber als re-aktiv denn als reaktionär - ein Aufruf, sich den mittlerweile allgegenwärtigen Zumutungen zu widersetzen. Damit aber schließt sich ein Kreis, findet sich Mohr nun bei der Motivation für früheres Revoluzzertum gegen Dummheit und Unverschämtheit wieder: "Der Kampf muss weitergehen. Irgendwie."
Deutschlands "Progressive" zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Unterhaltsame Darstellung der gesellschaftspolitischen Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten. Auch als kulturhistorisches Brevier für Leser mit intellektuellem Anspruch wärmstens empfohlen.Rezensent: Klaus Frieling
Personen: Mohr, Reinhard
Mohr, Reinhard:
Bin ich jetzt reaktionär? : Bekenntnisse eines Altlinken / Reinhard Mohr. - München : Gütersloher Verl. - Haus, 2013. - 189 S. ; 22 cm
ISBN 978-3-579-06638-7 geb. : EUR 17.99
Soziologie, soziale Fragen - Buch