Die amerikanische Journalistin und Schriftstellerin erzählt vom plötzlichen Tod ihres Ehemannes und der schweren Krankheit ihrer Adoptivtochter.
Rezension
Wie können wir begreifen, was wir mit unserem Verstand nicht erfassen können? Wie können wir Schock, Trauer, die Flut von Erinnerungen an unsere Toten ertragen, wie können wir unser Leben nach schweren Schicksalsschlägen wieder unter Kontrolle bringen? - Joan Didion hat in den 60er Jahren neben Truman Capote und Tom Wolfe den revolutionären subjektiven Reporterstil des New Journalism mitbegründet. Jetzt gibt sie in einem bewegenden und erschütternden Protokoll ihren persönlichen Erfahrungen mit Tod, Leid und Trauer literarische Gestalt und vermischt sie essayistisch mit medizinischen Details, mit Zitaten von Freud und Melanie Klein und des Soziologen Philippe Aries.
„Das Leben ändert sich schnell.
Das Leben ändert sich in einem Augenblick.
Man setzt sich zum Abendessen, und das Leben,
das man kennt, hört auf.“
Dies waren die ersten Worte, die Joan Didion schrieb, nachdem es passiert war. Was war geschehen? Am 25. Dezember 2003 wird Quintana, die einzige Tochter des Ehepaares Joan Didion und John Gregory Dunne, in die Notaufnahme eines New Yorker Krankenhauses eingeliefert. Am 30. Dezember besuchen die Eltern ihre 37-jährige Tochter, die seit 5 Tagen bewusstlos auf der Intensivstation liegt. Sie fahren im Taxi nach Hause, versuchen über die Situation zu sprechen. In der Wohnung erleidet John einen Herzanfall und stirbt trotz aller Reanimationsversuche. - Wie soll die Journalistin, die gewohnt ist, alles in Worte zu fassen, auch ihre persönliche Katastrophe zur Sprache bringen? Allen Freunden, die sie in den ersten Wochen besuchen, erzählt sie immer wieder alle Einzelheiten des Vorfalls, bis sie von Erschöpfung überwältigt wird. Und sie schreibt schließlich alle Einzelheiten aus ihrer schmerzlichen Erinnerung auf, bis alles ganz gegenwärtig ist. Sie versucht, ihre Trauer zu analysieren- es ist ihr Überlebensbuch geworden, eine radikal persönliche Veranschaulichung des protestantischen „Mitten im Leben sind wir des Todes“. - Sie lässt Szenen ihrer 40-jährigen Ehe vorbeiziehen, in der sie nie länger als 1 Woche getrennt waren, beide Schriftsteller, beide mit denselben Interessen, demselben Engagement. Sie erzählt von ihrem Leben in Malibu, Hawai und New York. Von der Adoption ihrer Tochter, von ihrem zeitweise recht glamourösen Leben durch die Verbindung zu Holywood. - Und dann überkommt sie wieder die Nähe zu Johns Tod mit allen Einzelheiten: die Obduktion, die Kremierung, die Trauerfeier. Und die ständige Angst um die schwerstkranke Tochter. Sie versucht, ihre Reaktionen zu analysieren. Sie fragt nach der Magie, die dieses eine Jahr der Trauer bestimmte und die sich äußert in Handlungen, die wir alle kennen. Sie kann seine Schuhe nicht wegwerfen, da er sie ja braucht, sollte er zurückkommen. Sie bleibt in der gemeinsamen Wohnung. Wie in magischen Krisen gefangen, kehrt die Autorin erzählend immer wieder zurück zu jenem Ereignis seines Todes. Und doch: „Ich weiß, dass, wenn wir selbst leben wollen, irgendwann der Punkt kommt, an dem wir die Toten gehen lassen, sie tot sein lassen müssen.... Das zu wissen macht es nicht leichter.“
Rezensent: Isolde Paschen - von Bülow
Personen: Didion, Joan Strubel, Antje Rávic
Didion, Joan:
Das Jahr magischen Denkens / Joan Didion. Dt. von Antje Rávic Strubel. - Berlin : Claassen, 2006. - 255 S. ; 21 cm. -
ISBN 3-546-00405-1
Einzel- und Familienbiografien sowie Briefe und Tagebücher einzelner Personen aus allen Sachgebieten - Signatur: Bb - Bücher