Im chaotischen, verunsichernden Corona Lockdown sucht eine Frau Zukunftsgewißheit und Halt in Orakeln, Tarot, Weissagungen.
Rezension
Die Protagonistin des Romans, das Alter-Ego von Clare Pollard, durchlebt mit ihrem Mann Jason und dem 10jährigen Sohn Xander den Corona Lockdown in London. Das Familienleben gerät immer stärker durcheinander. Sie versucht sich gegen das Chaos durch Wahrsagung zu wappnen. Jedes der 65 Kapitel nimmt eine Form des Hellsehens auf. Was die Gegenwart der Protagonistin an Erfahrungen zuspielt und was sie an hellseherischen Praktiken und Experimenten ausprobiert, deutet sie in die Zukunft. Durch diese Extrapolation der Gegenwart in die Zukunft driftet sie ab, und es kommt zur Tragödie. Ihre Familie droht zu zerbrechen. Es ist tragisch, wie der Druck durch die Epidemie und das Weissagen sich gegenseitig negativ verstärken und die Erzählerin allein auf die Zukunft fixiert ist. Es hat auch komödiantische Züge, wie sie sich in der Deutung und Schau der Zukunft verliert. Das Alter-Ego von Pollard unterrichtet Klassische Philologie und spielt virtuos mit antiker Hellseherpraxis und Mythologie. Sehr schön nimmt Pollard den Zeitkolorit (Trump, Verschwörungsideologien) des Lockdowns auf.
An der schönen Wahrsageidee und der authentischen, direkten Sprache werden Leser, die unterhaltsame, gehobene Literatur schätzen, Gefallen finden.Rezensent: Martin Schulz
Personen: Pollard, Clare Burger, Anke Caroline
Pollard, Clare:
Delphi : Roman / Clare Pollard. Dt. von Anke Caroline Burger. - Berlin : Aufbau, 2023. - 222 S. ; 22 cm. -
ISBN 978-3-351-03971-4
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher