Hamids Ich-Erzähler Changez verwickelt nach dem 11. September 2001 in einem Café in Lahore einen US-Amerikaner in ein langes Gespräch.
Rezension
Während der Amerikaner kaum etwas sagt, ist der Redefluss des 25-jährigen Pakistanis kaum zu stoppen. Changez breitet intime Details über sein anfänglich sehr erfolgreiches Leben in den USA aus. Er studiert an der Eliteuniversität Princeton, bekommt eine Stelle als Trainee in einer angesehen Unternehmensberatung. Schon beim Einstellungsgespräch schließt ihn sein Chef Jim ins Herz. Jim, ein Aufsteiger aus ärmlichen Verhältnissen, sieht in Changez einen ehrgeizigen Karrieristen aus der Dritten Welt. Changez entspricht zunächst Jims Erwartungen. Er arbeitet hart, verhält sich gegenüber Höhergestellten höflich und analysiert kühl Firmen. Dass das Ergebnis seiner Arbeit oft der Verkauf der untersuchten Betriebe ist und dies u. A. zu Entlassungen führt, kümmert Changez nicht. Er sieht sich auf der Seite der Gewinner, die dazu beitragen veraltete Geschäftsmodelle zu beseitigen.
Auch privat scheint Changez zu reüssieren. Er verliebt sich in Erica, eine Princeton-Absolventin aus der Oberschicht, die ihn in die besten Kreise New Yorks einführt. Emotional bleibt sie allerdings kühl. Erinnerungen an ihren früh verstorbenen ersten Freund hindern sie daran, sich auf Changez voll einzulassen. Die Wende bringt der 11. September 2001. Die psychisch labile Erica verfällt in eine Depression. Changez erkennt zunehmend, dass er trotz aller Erfolge in der amerikanischen Gesellschaft ein Außenseiter bleibt. Störte ihn zuvor das selbstherrliche Auftreten vieler Amerikaner, überraschen ihn nun seine eigenen Gefühle, als er die Bilder des Terroranschlags im Fernsehen sieht: „Ja, so abscheulich es auch klingen mag, meine erste Reaktion war eine bemerkenswerte Freude. […] mich ergriff die Symbolkraft […], die Tatsache, dass jemand Amerika so sichtbar in die Knie gezwungen hatte.“ (S. 77)
Changez ist kein dogmatischer Islamist, eher ein liberaler Angehöriger der pakistanischen Mittelschicht, der aber immer wieder feststellt, dass er zwar als exotischer Tupfer auf New Yorker Parties geschätzt, aber seine Ursprungskultur in den USA nicht ernst genommen wird. Als sich als Reaktion auf den Anschlug antiislamische Einstellungen in den USA ausbreiten und Changez selbst angepöbelt wird, besinnt er sich mehr und mehr auf seine Herkunft. Nach einem Besuch bei seiner Familie in Pakistan kehrt er mit einem Bart zurück und wird dadurch endgültig zum Außenseiter. Bei der Evaluierung eines Verlages in Chile verweigert er die Mitarbeit, wird entlassen und kehrt in seine Heimat zurück. - Changez’ Erzählung verunsichert sein amerikanisches Gegenüber. Dieser fühlt sich zunehmend bedroht und sieht wohl in dem Pakistani einen potentiellen Attentäter, ohne dies allerdings auszusprechen.
Hamid verknüpft geschickt die Rahmenhandlung in dem Café mit Rückblicken. Bei aller Aufgeschlossenheit erscheinen auch amerikanische Liberale als unfähig, Angehörige anderer Kulturen zu verstehen und sie zu integrieren. Doch auch die ‚Anderen’ wie etwa Changez sind trotz westlicher Bildung letztlich nicht bereit, sich in die US-Gesellschaft einzugliedern. So entsteht eine instabile Situation, die in Gewalt umkippen kann. Zugleich ist der Roman ein Lehrstück, wie aus einem vagen Unwohlsein über das Verhalten von Amerikanern eine handfeste Abneigung gegen Amerika und seine Politik werden kann. Offen bleibt, wie weit Changez tatsächlich gehen würde.
Rezensent: Peter Bräunlein
Personen: Hamid, Mohsin Schönfeld, Eike
Hamid, Mohsin:
Der Fundamentalist, der keiner sein wollte : Roman / Mohsin Hamid. Dt. von Eike Schönfeld. - 1. Aufl. - Hamburg : Hoffmann & Campe, 2007. - 189 S. ; 21 cm. -
ISBN 978-3-455-40047-2
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher