Erinnerung und Vergessen, die Unausweichlichkeit des Schicksals und der Rückzug in die Stille.
Rezension
Auf dem Gelände eines ehemaligen Waisenhauses steht eine Voliere, in der ganz unterschiedliche Vogelarten gehalten werden. Jeden Tag besucht ein Mann die Voliere, um im Schatten eines Ginkgos dem Gesang der Vögel zu lauschen und mit ihnen zu sprechen. Eines Nachmittags jedoch bricht er neben dem Käfig zusammen und stirbt kurze Zeit später. Die Obhut über die Voliere wird nun seinem jüngeren Bruder anvertraut, von den Kindern in der Stadt fortan der »Herr der kleinen Vögel« genannt - weil er sich so aufopferungsvoll um die Tiere kümmert. Er lebt einsam und zurückgezogen, nur zwei Menschen gelingt es, sein Vertrauen zu gewinnen. Einer jungen Bibliothekarin, die er kennenlernt, als er in der Stadtbücherei Fachbücher über Vogelkäfige konsultiert. Und einem alten Mann, der stets eine kleine Holzschachtel mit einer Grille bei sich trägt, um sich an ihrem Gesang zu erfreuen. Als eines Tages ein kleines Mädchen vermisst gemeldet wird, gerät die ansonsten so friedliche Stadt in helle Aufregung. Und der Herr der kleinen Vögel wird von zwei Polizisten über seinen merkwürdigen Bekannten mit der Grille befragt, der ebenfalls spurlos verschwunden ist.
Yoko Ogawa, Meisterin eines "filigranen, nuancierten" Erzählstils, präsentiert eine besondere Lektüre, die bereitwilliges Leser-Verständnis sowie Interesse für außergewöhnliche Lebensweisen (mit ornithologischen Einblicken) erfordert. Anspruchsvoll. Magisch. Tiefgründig. Empfehlenswert für alle (Patienten-) Büchereien.Rezensent: Brigitta Morgenstern
Personen: Ogawa, Yoko
Ogawa, Yoko:
Der Herr der kleinen Vögel : Roman / Yoko Ogawa. Dt. von Sabine Mangold. - München : Liebeskind, 2015. - 270 S. ; 20 cm. - Aus d. Japan.
ISBN 978-3-95438-050-3 geb. : EUR 18.90
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