Eine wiederentdeckte österreichische Autorin, die Zeugnis ablegte über die stalinistischen Straflager.

---

Rezension

Dreimal verheiratet, existieren Texte Angela Rohrs unter verschiedenen Ehe- und Künstlernamen, die man erst jetzt ihrer Person zuordnen konnte. Ein bewegtes Leben führte die 1890 in Mähren geborene Autorin u.a. von Wien nach Italien, Paris, in die Schweiz, nach Berlin und schließlich in die Sowjetunion. Sie war Studentin der Psychoanalyse, Ärztin, Dadaistin und Reporterin, kannte Rilke, Lenin, Freud und Brecht. 1941 wurde A. Rohr als angebliche Spionin in Moskau verhaftet, überlebte mehrere stalinistische Lager und die Verbannung nach Sibirien. Die Schrecken und Leiden dieser Gefangenschaft schildern die bewegenden Erzählungen „Der Vogel", die der Sammlung den Titel gab, und „Die Zeit", um 1960 nach ihrer Rehabilitation geschrieben. Lebendige Eindrücke vermitteln auch die Reportagen aus den 30er Jahren über die gesellschaftspolitische Entwicklung der Sowjetunion, die in der Frankfurter Zeitung publiziert wurden. Frühe Texte aus Paris zeugen von Rohrs tiefer katholischer Prägung.

Eine ungewöhliche Persönlichkeit, die der Entdeckung wert ist, und sich als Autorin vom Dadaismus hin zur klarsichtigen Analytikerin des stalinistischen Terrors entwickelte.

Rezensent: Dr. Lotte Husung

---

Personen: Rohr, Angela

Schlagwörter: Zeitzeugen Sowjetunion 1940er-Jahre