Traumatische Gewalterfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit verdunkeln das Leben einer Familie über Generationen.
Rezension
Erst als erwachsene Frau erfährt die Autorin die Wahrheit über ihren geliebten Großvater und die verschlossene schwierige Großmutter, die als halbes Kind mit ihrer Stiefmutter und zwei Stiefbrüdern nach der Flucht aus dem Osten in einem winzigen Bauerndorf in der späteren DDR ankam. Natürlich wird über die brutale Vergewaltigung des Mädchens durch einen 20 Jahre älteren Kriegsheimkehrer, den sie heiraten muss, nie gesprochen; aber selbstverständlich belastet das Verbrechen die Ehe, aus der drei Töchter hervorgehen, schwer. Erst die Enkelin geht dieser Geschichte nach. In der Ich-Form berichtet sie von den Gesprächen mit der Mutter, ihren eigenen Fragen, ihren Ängsten. Vom Leben ihrer Großmutter und ihrer Mutter erzählt sie in der Distanz der 3. Person in einer schlichten, journalistischen, unaufgeregten Prosa, die die Wucht des Geschehens um so klarer werden lässt. Es stellt sich heraus, dass Traumata der Vergangenheit das Lebensgefühl der Kinder und Enkel beschweren. Erst wenn die Betroffenen sich der schmerzhaften Wahrheit stellen, lernen sie zu verstehen und eventuell zu vergeben.
Die Beschäftigung der Enkelgeneration mit den vielfältigen Verletzungen des 2. Weltkriegs bietet einen unverbrauchten Blick auf die Vergangenheit. Diese Bücher sollten einen Platz auch in kleineren Büchereien finden.Rezensent: Lieselotte Diepholz
Personen: Rennefanz, Sabine
Rennefanz, Sabine:
Die Mutter meiner Mutter / Sabine Rennefanz. - München : Luchterhand, 2015. - 251 S. ; 22 cm
ISBN 978-3-630-87454-8
Einzel- und Familienbiografien sowie Briefe und Tagebücher einzelner Personen aus allen Sachgebieten - Signatur: Bb - Bücher