Die französische Intellektuelle und Autorin legt einen Sachbericht über das Leben ihrer Mutter vor, der Frau über die sie sagt: "Sie war schon immer da."
Rezension
Noch stärker als der Tod des Vaters wird Annie Ernaux durch den Tod der Mutter zum Schreiben herausgefordert. Eine zerrende Spannung zwischen Nähe und Distanz wird sichtbar. "Was ich zu schreiben hoffe, um ihr gerecht zu werden, liegt vermutlich an der Nahtstelle von Familie und Gesellschaft, Mythos und Geschichte." Die Mutter wurde 1906 als viertes von sechs Kindern in einer ländlichen Kleinstadt in der Normandie geboren, musste nach dem frühen Tod des Vaters unter dem Regiment einer strengen Mutter überall anpacken, wo Hilfe nötig war, besuchte wegen der Saisonarbeit oder bei Krankheit der Geschwister nur unregelmäßig die Schule und begann mit 13 in einer Margarinefabrik und später in einer Seilerei zu arbeiten. Zeit ihres Lebens war sie stolz auf ihre Arbeitskraft, und "blickte mit rebellischer Klarsicht auf ihre niedrige gesellschaftliche Stellung und weigerte sich, ausschließlich danach beurteilt zu werden." - Wie bereits in "Der Platz" wirkt Annie Ernaux auch in diesem Buch als Chronistin der gesellschaftlichen Verhältnisse in Frankreich.
Erst durch die 2016 erschienene Schrift "Rückkehr nach Reims" von Didier Eribon ist das Interesse an diesen gleichermaßen soziologisch und persönlich unterlegten Autobiografien bei einem breiten Leserkreis geweckt worden. Breite Empfehlung für Büchereien mit erwachsener Leserschaft.Rezensent: Gabriele Kassenbrock
Serie / Reihe: Bibliothek Suhrkamp 1512
Personen: Ernaux, Annie Finck, Sonja
Ernaux, Annie:
Eine Frau / Annie Ernaux. Dt. von Sonja Finck. - Berlin : Suhrkamp, 2019. - 88 S. ; 22 cm. - (Bibliothek Suhrkamp 1512). - Aus d. Franz.
ISBN 978-3-518-22512-7 geb. : EUR 18.00
Buch