Unter Trümmern hat ein kleines Mädchen mutterseelenallein den Krieg überlebt. Ein großer Hund schließt sich ihm an, ein einziger Freund.
Rezension
Man möchte diese Kriegsgeschichte nicht wahrhaben und weiß doch: so war es, ist es noch und kann es immer wieder sein irgendwo auf der Welt. Kriege zerbomben Häuser, Dörfer und Städte, zerstören Menschenleben und Träume. Sie machen Kinder zu Waisen, lassen sie inmitten von Trümmern allein und traumatisiert zurück. Manchmal bleibt diesen Kindern nicht einmal die Sprache, nicht einmal ein Name. Selbst die Erinnerung an eine heile Welt erscheint nur noch als verblassender Traum. Von einem solchen Kind erzählt dieses Buch. "Lasst uns das Mädchen Nora nennen, denn wenn auch nichts von diesem (seinem) Traum mehr Wirklichkeit war, sollte wenigstens der Name bleiben. Einen Namen muss man haben, selbst wenn man ganz allein ist auf der Welt. Dann ganz besonders." – Nora hat überlebt. In einer Höhle unter Trümmern hat "der Krieg, der ein wütender Drache war", sie nicht gefunden. Sie wagt sich heraus, sucht den Weg zum Hügel mit den Mandarinenbäumen, trifft dort den schwarzen Hund, der genauso hungrig, einsam, angstvoll und stumm ist wie sie. Vorsichtig wagen die beiden Freundschaft, brauchen einander. Nora pflegt den verletzten Hund, und der Hund wärmt sie. So gehen die einsamen Tage dahin, ohne Worte für verschüttete Gefühle. Nur einmal ist Freude über Durst stillenden Regen erlaubt. Irgendwann tauchen Männer auf, sprechen in fremder Sprache. Sie scheinen freundlich, winken Nora heran, zeigen ihr Fotos. Auf einem erkennt sie ihre Schwester. Die Männer wollen Nora mitnehmen, doch ohne Hund. In panischer Angst springt sie vom fahrenden Auto, zurück zum Hund, den sie nie allein zu lassen versprochen hat. Die Fremden kommen wieder, suchen und finden das total erschöpfte Kind in der Trümmerhöhle, weil der Hund Laut gibt. Eine Frau ist diesmal dabei, die Nora versteht. Diesmal dürfen beide mit, Nora und Hund, einer vagen Hoffnung entgegen. Endlich kann Nora weinen.
Wie sollte Krieg mit Angst, Gewalt und Tod für Kinder fassbar, erklärbar sein? In diesem leisen Buch, dessen Geschichte bereits in der Radioreihe "Ohrenbär" von RBB, NDR und WDR gesendet wurde, ist der Krieg vorbei. Er hat ein Kind, das nichts begreift, zurückgelassen und stumm gemacht. Diese Sprachlosigkeit und innere Leere, erfasst aus Kinderperspektive, spiegelt sich kunstvoll im sparsamen, poetischen Text. Die ausdrucksstarken, mit weichem Bleistift skizzierten und schraffierten Zeichnungen nehmen die Stimmung auf. Unaussprechliches wie Kriegsgrauen, Hunger und Angst werden in Symbolen ausgedrückt – als wütender Drachen, als Schlange, als Spinne. Auch ohne reale Kriegsszenen wird hautnah spürbar, was Krieg für ein Kind wie Nora bedeutet. Begreifbar werden die tiefen seelischen Verletzungen, die Krieg hinterlässt, selbst wenn der Körper gesund überlebt und die grausamen Kriegserlebnisse vorerst aus der Erinnerung gestrichen zu sein scheinen. – Das Erstaunliche an diesem Buch ist, dass seine hintergründige Problematik nicht erdrückt und vor dem Übermaß an Elend "abschalten" lässt. Die unsentimentale Freundschaft zwischen Nora und dem Hund verhindert es. So wird zwar von Krieg, Folgen und Leid erzählt, zugleich aber auch von Mut und stiller Tapferkeit, von Freundschaft, von Hoffnung.
Rezensent: Heide Germann
Personen: Herzog, Annette Witt, Gretje
Herzog, Annette:
Einer, der bleibt / Annette Herzog. Ill. von Gretje Witt. - Wuppertal : Hammer, 2006. - 62 S.: Ill.; 21 cm
ISBN 3-7795-0054-x
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher