Man könnte meinen, dieses „Vorlesebuch für Kinder von 6 – 11 Jahren“, so die Ankündigung des Verlages, stamme aus einer Zeit, in der Herkunft und Bedeutung von Weihnachten fast völlig in Vergessenheit geraten sind. Aber vielleicht war das mit den Wurzeln des Weihnachtsfestes schon immer nur eine große Illusion!?
Rezension
Stinkehund und Platti, ein Streunerhund und ein armer, platter Kater lassen uns an ihren Erlebnissen rund um ihr Weihnachtsfest teilhaben. Sie warten in ihrer Mülltonne auf den Weihnachtshund. Von ihm wünschen sie sich ein Flohhalsband, Leckerlis mit Schinkengeschmack und eine Fahrradpumpe, mit der Platti sich aufpumpen und wieder in Form bringen möchte. Aber dann haben sie eine Idee: Weihnachten, dieses Fest schien doch mal was mit „Bedürftigen“ zu tun zu haben. Aber zur Weihnacht ein Haus für zwei arme Tiere zu finden, ist ungefähr so schwierig, „wie einen Diamanten in einer Mülltonne zu finden“. Dennoch gelangen sie auf ihrer Suche zu Familie Weihnacht. Am Schild steht: „Bei uns ist jeden Tag Weihnachten“. Und so, wie es dort zugeht, überbietet das Heinrich Bölls Kurzgeschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“, leider ohne deren satirischen Tiefgang. Das Fest der Familie Weihnacht jedenfalls folgt alljährlich einem festen „Ritual“: Josef-Maria, Maria-Maria, die Eltern, schenken ihren Kindern ein aktualisiertes Lexikon und einen aktualisierten Weltatlas, Marie-Maria, und Christian-Maria, die Kinder, schenken sich gegenseitig Geschenke aus dem Müll. In diesem Jahr sind es Stinkehund und Platti, die Marie-Maria für ihren Bruder in einer Mülltüte verpackt hat, er schenkt ihr eine PoA, ein Puppe ohne Arme, gefunden in einem Rinnstein, und das alles nur, weil sie sich eigentlich hassen und „Grässliche Weihnachten!“ wünschen.
Am 25. Dezember wird das alles neben weiterem altem Spielzeug und „kaputtem Nippes“ auf den Wohltätigkeitsflohmarkt gebracht, der alljährlich veranstaltet wird, um „Bedürftigen zu helfen“. Die Geschichte nimmt dann eine - nur auf den ersten Blick - weihnachtlich - diakonische Wendung: ein armes Mädchen, dessen Eltern blind und taub sind, findet dort ihre Puppe ohne Arme wieder, ihr einziges Spielzeug, das ihr Christian-Maria im Schlaf am Rinnstein entwendet hat, bekommt dafür im Tausch Stinkehund und Platti, die sich als wahre Underdogs mit dem armen Mädchen solidarisieren.
Ich erspare den geneigten Leser*innen die Begegnung des armen Mädchens mit Familie Weihnacht. Scheinbar, aber nur scheinbar, scheint es zunächst auszugehen wie im Märchen von den Sterntalern, denn die Puppe stellt sich als Sammlerpuppe heraus, die sogar in diesem erbärmlichen Zustand noch zu Geld gemacht werden kann, mit dem das arme Mädchen natürlich ihren Eltern einen Arztbesuch ermöglichen will. Und am Ende kommt der Weihnachtshund mit den gewünschten Geschenken, und darauf brauchen Stinkehund und Platti nur noch „eine gute leere Flasche aufmachen, um anständig Weihnachten zu feiern.“
Wollen uns Autor und Illustrator mit diesem Buch vielleicht deutlich machen, wohin es führt, wenn Weihnachten zu X-Mas verdampft, niemand mehr weiß, worum es da mal ging, und jede und jeder sich nur noch über die paar Hansel lustig macht, die versuchen, dieses Fest voller Freude über die gute Botschaft von der Geburt des Friedenskönigs zu begehen?
Aber so viel Zynismus und Ironie verträgt das (Vor-)Lesealter von 6 – 11 Jahren noch nicht, und ob eine Lektüre dieser Form von Weihnachtsliteratur für ältere Leser ein Gewinn ist, mögen diese selbst entscheiden.
Kurzum: der Rezensent mag Humor, er nimmt mit Freude wahr, wenn auch den Kirchen der Spiegel vorgehalten wird, aber dann bitte nicht auf diesem Niveau, hier bleibt es dermaßen an der Oberfläche, dass das ganze Buch im Sinne Trappatonis den Geist von „Flasche leer“ atmet.
Rezensent: Ulrich Walter
Personen: Gutman, Colas Boutavant, Marc Süßbrich, Julia
Gutman, Colas:
Frohe Weihnachten, Stinkehund! / Colas Gutman. Ill. von Marc Boutavant. Dt. von Julia Süßbrich. - Zürich : Atrium, 2019. - 80 S. : Ill. ; 18 cm. -
ISBN 978-3-96177-034-2
Erzählungen (6-8 Jahre) - Signatur: Ju 1 - Bücher