Nach 20 Ehejahren beschließt Maria, an ihre Jugendträume in Berlin anzuknüpfen, auch wenn sie dafür ihren Mann zurücklassen muss.
Rezension
In den 1970er-Jahren bietet Portugal einer jungen Frau wenig Perspektiven, wenn die nicht heiraten und Kinder kriegen will. So geht Maria nach Berlin, beginnt ein Studium und eine Beziehung mit einem rebellischen Theatermacher. Trotz der Pläne vom unabhängigen Leben findet sie sich aber schließlich als Ehefrau und Mutter in der deutschen Provinz wieder. Doch als die Tochter erwachsen ist, setzt Maria eigene Lebenspläne um – gegen den Willen ihres Mannes.
Stephan Thome erzählt die Geschichte eines Paares in der Krise - seine Gefühlslagen, Erwartungen, Missverständnisse und nicht zuletzt das Aneinander-Vorbeireden. Und weil die sinnvollste Darstellung einer Ehekrise beide Perspektiven berücksichtigt, folgt mit „Gegenspiel“ die Darstellung aus der Sicht der Frau, nachdem der Autor in seinem 2012 erschienenen Roman „Fliehkräfte“ aus Sicht des Mannes erzählte. Es geht um geistige, soziale und kulturelle Entwicklungen. Dabei sind die Protagonisten auch Spiegel ihrer Zeit, und so fängt der Roman zugleich atmosphärisch dicht den „Zeitgeist“ im Lissabon der portugiesischen Nelkenrevolution und in der Westberliner Hausbesetzer-Szene vor dem Mauerfall ein. Schließlich entwirft der derzeit am Zweit-Handlungsort Lissabon lebende Philosoph Thome im „Gegenspiel“ auch ein Porträt des deutschen Mittelstands, zeigt Hauptfigur Maria differenziert und glaubwürdig als ambivalente Person, hin und her gerissen zwischen der Liebe zum Ehemann, ihrem Selbstverwirklichungstrieb und dem Sich-Fügen ins „normale“, eben oft auch fremdbestimmte Leben. Ein berührender, manchmal verstörender Roman über Täuschung und Selbsttäuschung, über Aufbruch und Verantwortung - auch gegenüber dem eigenen Leben.
Rezensent: Klaus Frieling
Personen: Thome, Stephan
Thome, Stephan:
Gegenspiel : Roman / Stephan Thome. - Berlin : Suhrkamp, 2015. - 457 S. ; 22 cm
ISBN 978-3-518-42465-0
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher