Rezension
Akribisch hat Bernd Schroeder die Geschichte eines rätselhaften Kriminalfalles nachrecherchiert: Wer erschoß am 6. November 1906 in Baden-Baden die vermögende Medizinalratswitwe Josefine Molitor? In einem der großen Sensationsprozesse im letzten Jahrzehnt des deutschen Kaiserreiches wurde ihr Schwiegersohn, der junge Rechtsanwalt Karl Hau, trotz ungeklärter Einzelheiten, fehlenden Geständnisses und widersprüchlicher Zeugenaussagen in einem Indizienprozeß zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde in lebenslange Haft umgewandelt, Hau kam nach 17 Jahren vorzeitig aus dem Gefängnis frei und beschreibt seine Erlebnisse in "Das Todesurteil" und "Lebenslänglich" - beide Bücher waren in den zwanziger Jahren Bestseller.
Bernd Schroeder geht es in seinem Roman nicht um die alte Frage, ob das Mordurteil gegen seinen Protagonisten rechtens oder ein Justizirrtum war. Der Autor widmet sich nicht vorrangig der kriminalistischen Spurensuche, sondern schildert die Psyche der Handelnden wie auch die “enge” gesellschaftliche Atmosphäre in der badischen Provinz - Stoff genug also für ein packendes Sittengemälde der ausgehenden Kaiserzeit. Doch leider bleibt Schroeders Schilderung immer ein wenig zu distanziert, die schillernde, undurchsichtige Hauptfigur Hau kommt beim Leser blass, manchmal gar blutleer an.
Als Roman oder gar Krimi bleibt Schroeders Werk trotz unbestreitbarem erzählerischen Potenzial nur mittelmäßig, als phantasievoll ausgeschmücktes Sachbuch über den Mordfall vor 100 Jahren ist “Hau” aber durchaus eine Empfehlung für größere Bibliotheksbestände.Rezensent: Klaus Frieling
Personen: Schroeder, Bernd
Schroeder, Bernd:
Hau : Roman / Bernd Schroeder. - 1. Aufl. - München : Hanser, 2006. - 364 S. ; 21 cm
ISBN 3-446-20756-2
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher