Begründung für die Nicht-Empfehlung des Bilderbuches "Ich mit dir, du mit mir".
Rezension
Die konstruierte Handlung des Bilderbuches ist schnell erzählt: Ein Flöte spielender Siebenschläfer trifft auf einen Bären, der auf seinem roten Lieblingskissen sitzt. Die Tiere tauschen auf Veranlassung des Bären ihren Besitz, um bald zu erkennen, dass die Flöte für den Bären ohne Wert ist. Also macht der gewitzte Siebenschläfer den Tausch rückgängig und zwar - materiell gesehen - zu seinen Gunsten, denn er benutzt auch weiterhin das rote Kissen. Der Bär lauscht der Musik, tanzt nach ihr, bis ihm schwindelig wird, erhält einen Glückskieselstein, der im Strauch hängen bleibt (!) und hilft dem Siebenschläfer beim Nüsse schütteln. Der Bär kommt schließlich zu der Einsicht, weder Stein noch Kissen noch Flöte zu brauchen. Er verschenkt seinen Glückskiesel. "Schenken macht Freude. Für dich ein Gewinn, für mich ein Gewinn." Er überzeugt den Siebenschläfer davon, dass sogar Mondlicht, Blumenduft und das Säuseln des Windes verschenkt werden können.
Mit welcher Absicht wird eine inhaltlich so dürftige wie skurrile Geschichte erzählt und bebildert?
Bären, ob nun in Form des Jungtieres Knut, des Braunbären Bruno, des Teddybären oder diverser Bilderbuchhelden haben Kinder (und Erwachsene) schon immer angesprochen, obwohl es sich ja eigentlich um gefährliche Raubtiere handelt.
Der Siebenschläfer, auch Schlafmaus genannt, zieht wegen seines mäuseähnlichen Aussehens ebenfalls die Aufmerksamkeit von Kindern auf sich (Sendung mit der Maus etc). Was verbindet den Bären mit dem Siebenschläfer? Eigentlich nichts, außer man nutzt - verkaufsfördernd - beider anziehende Wirkung auf Kinder (psychologisch bekannt als Wirkung des Klein-Kindchen-Schemas).
Aus der Kindergartenpraxis fügt man als Versatzstück bzw. Handlungsträger die Vorliebe der Kinder fürs Tauschen von Materiellem hinzu. Der Bär zieht dabei gegenüber dem Siebenschläfer ständig den Kürzeren, bis er durch ein Geschenk an den Siebenschläfer die ethisch-moralische Wende einleitet und Freundschaft proklamiert, in der immaterielle Werte wie Mondlicht usw. verschenkt werden.
Laut Werbung auf der Rückseite des Bilderbuches intendiert der Erzähler, folgende Einsicht zu vermitteln:"…es wird verhandelt, behauptet und geschickt getauscht. Doch schließlich wird klar: Freundschaft hat nichts mit Rechnen zu tun."
Da kann man nur zustimmen! Freundschaft hat wirklich nichts mit Tauschhandel zu tun. Die Hingabe eines wirtschaftlichen Gutes gegen Überlassung eines anderen (auch Geldes!), also Tausch, bestimmt seit langem das wirtschaftliche Zusammenleben der Menschen. Das will, wie vieles andere, gelernt sein, auch mit u.U. schmerzlichen Erfahrungen oder Enttäuschungen und gehört zum vorschulischen Leben ganz konkret dazu. Genauso verhält es sich mit der Erfahrung von Freundschaft, die durch gegenseitige Zuneigung und Vertrautheit entstehen kann. Tauschwert erkennen und Freundschaft schließen lernen sind jedoch zwei unabhängig voneinander existierende Größen, die nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten, nur um einen pädagogisch verbrämten Erzählstoff zu gewinnen!
Stilistisch erfolgen Anleihen bei der literarischen Gattung Fabel, die nicht überzeugen, da die gewählten Tiere keine typischen biologischen Eigenschaften besitzen, die uns Menschen dann - etwas schonend - im Spiegel vorgehalten werden könnten. Auch sonst passen die Tiere nicht ins Bild: Der Braunbär als Fleisch fressendes Raubtier gilt als Einzelgänger mit vorwiegend nächtlicher Lebensweise. Der Siebenschläfer verbringt z.T. monatelang Tag und Nacht mit Schlaf und hat als Baum- und Buschbewohner keinerlei Hilfe nötig, sich weder von Bären noch von anderen Lebewesen Nüsse schütteln zu lassen. In der Fantasie der Kinder könnte man über manche Ungereimtheit hinwegsehen, nicht aber in der für Kinder von Erwachsenen konstruierten Scheinwelt, die nicht stimmig ist, den Kindern jedoch übergestülpt wird. Zwei Tiere, die nichts miteinander zu tun haben und zwei interpersonale Situationen (Tausch und Freundschaft), die zu unterscheiden sind, werden künstlich zusammengefügt! Es bleibt deshalb beim "Fabelverschnitt" ohne schlüssige Lebensweisheit, die gemeinhin durch diese literarische Gattung vermittelt werden soll.
Die Illustration unterstützt die gequält anthropomorphe Tendenz des Bilderbuches, Tiere menschenähnlich, ja, "menschelnd" darzustellen. Lücken in der Handlung werden "musikalisch" durch naive Blatt- und Blumenumrisse, wie sie in Kinderzeichnungen bisweilen zu finden sind, gefüllt, also auch hier kindertümelnde Anpassung statt Vorbild gebender künstlerischer Gestaltung. Als positive Ausnahme können die Landschaftsandeutungen in Aquarell-Technik gesehen werden, die sich dem bildnerischen Mittel "Transparenz" verpflichtet wissen.
Es handelt sich also um ein Buch, aus dem sich für Klein- und Grundschulkinder kein wie auch immer gearteter Lernzuwachs ergeben kann. Tiere müssen dazu herhalten, menschliches Verhalten abzubilden. Jedoch will das Bild nicht stimmig werden, da hier merkantiles Interesse, pseudopädagogische Absichten und Sentimentalität unzulässig miteinander vermischt werden.
Es reicht nicht, mit dem besonderen Anspruch aufzutreten, aus der Praxis zu kommen und nun etwas für die Praxis zu konstruieren nach dem Motto: Das kommt an! Vielmehr gilt: Praxis sollte theoretisch reflektiert werden wie auch Theorie von der Praxis her korrigiert werden muss. Eine solch enge Theorie-Praxis-Verschränkung ist für alle pädagogisch wirksamen Aktivitäten geboten, nicht nur, aber auch für den so wichtigen "Miterzieher" Kinderbilderbuch.
"Ich mit dir, du mit mir" entspricht m.E. aus den dargelegten Gründen dieser
Anforderung nicht.
Rezensent: Margot Rickers
Personen: Pauli, Lorenz Schärer, Kathrin
Ich mit dir, du mit mir / Lorenz Pauli. Ill. von Kathrin Schärer. - 1. Aufl. - Zürich : Atlantis, 2008. - O.Pag. überw. Ill. ; 24 cm
ISBN 978-3-7152-0565-6
Bilderbücher (einschl. Märchen- u. Sachbilderbücher) - Signatur: Jm 1 - Bücher