Spurensuche nach einem Vater, der plötzlich verschwand und dann nach Monaten völlig verändert zur Familie zurückkehrte.
Rezension
Der Ich-Erzähler, der gerade auf dem Weg zu einer Autorenlesung ist, wird von einer ihm unbekannten Dame angesprochen, die ihm ein Bild seines Vaters als jungen Mann zeigt, der liebevoll seinen Arm um eine junge Frau legt. Sie habe ihn geliebt, fügt sie hinzu. Soll er der Einladung der Dame folgen? Einige Zeit später bekommt er einen Brief, in dem die Tochter jener Dame ihm schreibt, er möge sich aus dem Nachlass ihrer Mutter einige Unterlagen abholen, die sie als 'Familienarchiv' bezeichnet. Auch hier zögert der Autor zunächst, kommt der Aufforderung dann jedoch nach. Ein Satz in einem Brief seines Vater an jene geliebte Frau ist dann der Schlüssel zum Verständnis des komplizierten Verhältnisses in seinem Elternhaus. Ganz lösen wird er die Geheimnisse von Vater und Mutter allerdings nicht mehr, aber er versteht, warum es einen Vater der frühen Jahre und einen so anderen nach der Rückkehr gab, warum Schweigen über der Vergangenheit lag. Erinnern oder Vergessen? Während einer Reise nach Litauen, wo er einen Vortrag über die multilinguale Tradition der Schweiz halten soll, wird ihm klar, dass seine Assoziation Vatersprache gleich Deutsch, Hochsprache, Sprache des Intellekts, des Befehls und Muttersprache gleich Dialekt, Sprache voll Wärme und liebevoller Nähe für die eigenen Eltern nicht galt. Seine Mutter war eine pflichtbewusste, sich immer korrekt verhaltende Frau, die ein Geheimnis hütete, dem der Sohn im entfernten Kaunas nahe gekommen war. Hier wird ihm deutlich, dass es neben den zeitgenössischen Formen kollektiver Identitäten eine sehr persönliche gab. Nun konnte er die Vaterhypothek für sich neu einordnen.
Rezensent: Halgard Kuhn
Personen: Faes, Urs
Faes, Urs:
Liebesarchiv : Roman / Urs Faes. - 1. Aufl. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2007. - 226 S. ; 21 cm
ISBN 978-3-518-41876-5
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher