Eine junge Frau auf der Suche nach einem neuen Mittlepunkt.
Rezension
Der Unfalltod des Vaters - samt seiner Geliebten-, ist ein zentrales, alltagsveränderndes Ereignis im Leben der 19 jährigen Camelia. Die Mutter, ehemals eine gefeierte Flötistin, verstummt gänzlich, zieht sich aus der Realität zurück, fotographiert,symbolischerweise, Löcher, Risse und andere Öffnungen, paßt sich damit der verwahrlosten Wohngegend an, identifiziert sich mit der morbiden Situation. Die junge Protagonistin stürzt in eine innere Zerrissenheit, die ihre gesamte, bisher erlebte Ordnung irritiert, vertraute Werte abhanden kommen. Sie bemüht sich verzweifelt um die depressive Mutter, kommuniziert per Mimik und Gestik, scheitert immer wieder an deren Passivität und Unerreichbarkeit. Als Camelia eines Tages in einem Abfallcontainer "extravagant verschnittene Kleidungsstücke" entdeckt, näht sie diese noch eigenwilliger um für sich - und - lernt dabei zufällig den Chinesen Wen kennen, verliebt sich in ihn, erfährt jedoch herbe Ablehnung, geht daraufhin -trotzig- eine Beziehung zu dessen Bruder Jimmy (-dem Schneider-) ein. Erotische Momente lösen tiefste Stimmungsumschwünge ab. Camelia gerät in einen psychisch tiefgründigen Engpass. Sie verstrickt sich immer häufiger in wirre Fantasien, gerät mit ihrem "Sein" in einen heftigen, inneren Konflikt, verneint Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als die Mutter ihre Sprachlosigkeit aufgibt, als Frau und Künstlerin früheren Glanz und männliche Bestätigung erfährt, eine Entwicklung, in der die Tochter überflüssig zu sein scheint, eskaliert die Situstion und nähert sich - unaufhaltsam - einem nicht abwendbaren Desaster.
Rezensent: Brigitta Morgenstern
Personen: Schwaab, Judith Di Grado, Viola
Di Grado, Viola:
Siebzig Acryl, dreißig Wolle : Roman / Viola Di Grado. Dt. von Judith Schwaab. - München : Luchterhand, 2012. - 253 S. ; 21 cm. -
ISBN 978-3-630-87387-9
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher