Ein französischer Finanzbeamter im Ruhestand zieht von der Wohnung in sein Auto.
Rezension
Paris im 21. Jahrhundert: Nach zwei gescheiterten Ehen wird dem Tagebuchschreiber, einem eingefleischten Hauptstädter, das Geld knapp. Er könnte sich zwar noch eine Kleinstwohnung leisten, wählt aber das Leben ohne eigenes Domizil und lernt so sein Quartier und dessen Menschen ganz neu kennen. - Der Autor will die Story als "Ethnofiktion" mit gewissem wissenschaftlichen Anspruch und als Beispiel für ähnliche Schicksale der Gegenwart, also von Menschen ohne stabilen Wohnsitz, sehen. Dafür kann ein Einzelfall aber kaum herhalten. Der angenehm schmale Band besticht jedoch durch seine sprachliche Qualität (gut übersetzt von Michael Bischoff) und wird dadurch zu einem lesenswerten und eindeutig literarischen Porträt eines verunsicherten, in einer Krise steckenden Mannes. Die besondere Fähigkeit des Ethnologen Augé liegt dabei wie bei seinem viel beachteten Werk "Orte und Nicht-Orte" (1994) in der feinfühligen raumbezogenen Wahrnehmung der individuellen Mensch-Umwelt-Beziehungen in Städten.
Auch wenn Titel und Klappentext ungeschickt formuliert wurden, wird das Buch an anspruchvollerer Gegenwartsliteratur interessierte Leserinnen und Leser begeistern.Rezensent: Tobias Behnen
Personen: Bischoff, Michael Augé, Marc
Augé, Marc:
Tagebuch eines Obdachlosen : Ethofiktion / Marc Augé. Dt. von Michael Bischoff. - München : Beck, 2012. - 103 S. ; 18 cm. -
ISBN 978-3-406-63080-4
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Bücher