Munro, Alice
Tricks Christian Brückner liest zwei Erzählungen aus "Tricks". Ungek. Lesung
Hörbücher

Acht neue Erzählungen der kanadischen Autorin über Frauen, Lebenswege, Konvention und Selbstfindung. Davon zwei als Hörbuch.


Rezension

Alice Munro, 1931 in Ontario geboren, ist eine der größten englischsprachigen Erzählerinnen der Gegenwart und findet seit einigen Jahren auch in Deutschland eine wachsende Leserschaft, die sich von ihren Erzählungen faszinieren und berühren lässt. Mit „Tricks“ liegen acht neue Erzählungen vor, die Lebenswege von Frauen skizzieren, über denen wie Lichtinseln Momente der Entscheidung aufscheinen, die aus Konvention und Selbstbetrug herausführen könnten – und es doch nicht tun.
Zu schreiben beginnt Alice Munro in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Solange ihre Kinder klein genug sind, werden sie, ob sie wollen oder nicht, für zwei Mittagsschlafstunden ins Bett gesteckt, damit ihre Mutter ungestört schreiben kann. Dass sie später zur Schule gehen, bessert die Lage ein wenig, aus zwei werden drei Stunden Arbeit am Wohnzimmertisch, und wenn die Arbeit sie packt, geht es schon mal „im Haushalt drunter und drüber“. Und noch heute arbeitet die Literaturnobelpreiskandidatin „anders als ein schreibender Mann … in relativ kurzen Konzentrationsphasen, um dazwischen irgendetwas anderes zu machen im Haus …“ Und so, glaubt sie, sei die Erzählung, der literarische Blick auf eine entscheidende Situation, aus ganz praktischen Gründen ihre Form geworden – kurz genug, um sie in zusammen gestohlener Zeit zu schreiben, die für den „großen“ Entwurf, den Roman, nicht reicht.
Um es vorweg zu sagen: Es wäre so manchem „großen“ Entwurf, der eigentlich nur ein lang und breit gewälzter ist, zu wünschen, er hätte nur ein Quäntchen der Intensität einer Munro-Erzählung, ihrer Intensität der Sprache, der Figurenzeichnung, der Handlung, mit der die Leser in die Erzählungen hinein gesogen werden, als dürften sie in einem vielhundert Seiten starken Roman versinken. Und dann ist es vorbei. Das Schlaglicht auf ein Schicksal verlöscht. Der Ausschnitt aus einem Leben gibt nicht mehr preis. Dieser Ausschnitt, die Weite des Lichtkegels, den das Schlaglicht wirft, ist dabei keineswegs auf den Augenblick, die eine große Krise beschränkt, sondern lässt Einblicke in Vergangenes zu („Entscheidung“, „Ausreißer“) oder umfasst eine lange Lebenspanne („Schweigen“, „Kräfte“), an deren Ende, wenn es gut geht, einverstandene Resignation steht. Nicht das große Glück, wie es auch Robin, der Protagonistin der Titelerzählung „Tricks“, als junger Frau so ganz überraschend zu begegnen scheint. Die wahre Liebe, auf die sie nicht gewartet hat, die aber dennoch in ihr Leben tritt und bleibt, obwohl sie den Mann, dem sie gilt, nur einmal und nie wieder sieht. Die Begegnung mit ihm verändert ihr Leben, allerdings nicht so, wie sie selbst und erst recht wie andere es erwartet hätten, und am Ende gibt es „sehr wenig, was sie bedauert“, aber „eine Art von törichtem Heimweh“. Und möglicherweise ist es dieses törichte Heimweh, die Sehnsucht nach dem Unmöglichen, das Scheitern des Versuchs, beide Seelen in einer Brust zufrieden zu stellen, die uns in den Erzählungen von Alice Munro so fesseln.

Zwei der Erzählungen dieses Bandes, Leidenschaft“ und „Tricks“ liest Christian Brückner in seiner Hörbuch-Reihe „Parlando“. Sein ironischer Grundton gibt der Erzählung „Leidenschaft“ eine Leichtigkeit, die der Geschichte einer Spurensuche durchaus gerecht wird. In der Lesung von „Tricks“ schafft diese Ironie eine irritierende Distanz zur Protagonistin und ihrer Sehnsucht nach dem entgangenen Leben. Das hier die „Tricks“, anders als bei Shakespeare, nicht „böse Mittel zum guten Zweck“ sind, dass am Ende nicht alles vergeben ist, sondern Empörung über den „tückischen Eingriff“ des Schicksals auslöst, hätte mehr (weibliche!) Empathie verdient.

So kann denn das Buch uneingeschränkt und wärmstens empfohlen werden, während das Hörbuch hinter den Erwartungen zurückbleibt, die vor allem diejenigen haben werden, die vorher Alice Munro gelesen haben

Rezensent: Birgit Lautenbach


Personen: Munro, Alice Brückner, Christian

Schlagwörter: Frau Schicksal Lebensweg

Munro, Alice:
Tricks : Christian Brückner liest zwei Erzählungen aus "Tricks". Ungek. Lesung / Alice Munro. Gelesen von Christian Brückner. - Hamburg : Parlando, 2006. - 2 CDs; 162 Min.
ISBN 3-935125-60-7

Zugangsnummer: 396
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik - Signatur: SL - Hörbücher