Familiäre Schicksalsjahre.
Rezension
Niederbayern 1945. Die Protagonistin, Marga, wächst in dem kleinen, sehr katholisch orientierten, bayerischem Ort Mairing auf, in dem nach strengen religiösen Regeln gelebt, jeder Außenstehende argwöhnisch betrachtet wird. Marga und Henryk begegnen sich. Er lädt sie "en passant", als seine Begleiterin , zu einer jüdischen Hochzeit ein. Beide spüren die gegenseitige Anziehung, fühlen sich, fast suggestiv, zueinander hingezogen. Trotz unterschiedlicher Kulturen und Herkunft, Henryk ist jüdischer Abstammung, entsteht eine tiefe Zuneigung, die jedoch nicht unbeschwert gelebt und genossen werden kann, da der erheblich ältere, ehemalige KZ-Häftling seiner unbewältigten, in die Gegenwart reichende Lager-Vergangenheit , mit den unfassbaren, traumatischen Gräueltaten eines Nazi-Regimes, permanent täglich, innerlich erneut durchläuft, Physis und Psyche dabei in ständiger in "Alarmbereitschaft" sind. Das Schuldbewußtsein seiner Familie gegenüber, die er weder vor Tod noch Verderben schützen konnte, hindert ihn zunächst daran, mit Marga, trotz tiefer Gefühle, eine Verbindlichkeit einzugehen. Diese jedoch versucht mit ihm, die schweren körperlich-seelischen Verletzungen aufzuarbeiten ihn geduldig - verständnisvoll zu therapieren, mit ihm eine Zukunft zu finden, die beiden Religionen, wertfrei , zu akzeptieren und zu verbinden, indem sie z. B. Chanukka und Weihnachten , im jeweiligen Rahmen feiern. Margas Familie zeigt unterstützendes Verständnis im Gegensatz zur dörflichen, fast bösartigen Gesellschaft, die Henryk weiterhin ablehnt, ihn als nicht dazugehörig betrachtet, seine Bemühungen, sich als Handlungsreisender mit feinen Stoffen zu verdingen, boykottieren, ihm" Steine in den Weg legen", ihn in diesem Kontext mit Hohn, Spott und Häme verfolgen. Tapfer aber entschieden versucht das Paar, diesen Aversionen zu widerstehen. Sie überwinden dabei emotionale, räumliche und Konfrontations-Krisen, fühlen sich unerschütterlich auf der Basis ihrer "unerhörten Liebe". Sie bieten Sohn Jonathan damit ein stabiles Dasein, eingebettet in ein warmherziges Elternhaus, mit akademischer Zukunft (- er studiert Jura in Passau-). Er ist mit seiner Heimat ebenso verwurzelt wie Mutter und Vater, ohne jedoch die Vergangenheit glätten zu können, auch er die "Last der Familiengeschichte" bis in seine Generation spürt. Jonathan versucht in dieser Dualität seinen Weg zu meistern, um sich endlich in einer befreiten, selbstbestimmten Zukunft zu etablieren.
Interessante Lektüre. Episch dicht mit Exkursen in Geschichte, Traditionen und Ideologien. Bestens geeignet für alle Interessierten dieses Genres , ebenfalls (Patienten-) Büchereien, mit hohem Diskussionspotential.Rezensent: Brigitta Morgenstern
Personen: Müller, Eva
Müller, Eva:
Unsere Liebe war unerhört : Historischer Roman / Eva Müller. - München : Penguin, 2024. - 398 S. ; 21 cm
ISBN 978-3-328-60334-4
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