Steinfest, Heinrich
Mariaschwarz Kriminalroman
Buch

Die Sache war extrem unklar Heinrich Steinfests Kriminalroman "Mariaschwarz" Ein sturer Hund" (2004), "Der Umfang der Hölle" (2006), "Die feine Nase.der Lilli Steinbeck" (2008) und jetzt "Mariaschwarz" (2009): Heinrich Steinfest scheint auf den Deutschen Krimipreis beinah schon abonniert zu sein und überzeugt die Jury ein ums andere Mal mit seinem lustvollen Spiel mit dem Genre. Steinfest-Leser wissen: Es ist immer wieder eine Hetz, wie man hierzulande sagt, sich den literarischen Kapriolen dieses Autors auszuliefern. Nun, worum geht es im neuesten, immerhin schon elften Kriminalroman des österreichischen Autors mit Geburtsort Albury, Australien, und Wohnsitz Stuttgart? - "Das Ungute an diesem Fall war, daß es wahrscheinlich zwei Fälle waren, wenn nicht noch mehr." Willkommen im Steinfest'schen Universum! "Mariaschwarz" spielt zum größeren Teil in einem österreichischen Kaff namens Hiltroff, das sich dadurch auszeichnet, dass so gut wie nichts los ist. Es gibt, etwas außerhalb, eine Fabrik, in der eine italienische Firma irgendwelche Plastikfiguren herstellt, eine Art Seminarzentrum, in dem Wissenschaftler von auswärts über ominöse Themen debattieren, und einen kleinen See - tief, schwarz, geheimnisvoll und von den Einheimischen "Mariaschwarz" genannt. Im Ort gibt es zwei Hotels, in dessen einem, etwas heruntergekommenen, Vinzent Olander seit drei Jahren logiert und seine Tage mit einem festen alkoholischen Ritual zubringt: täglich, und zwar streng in dieser Reihenfolge, je zwei Gläser Portwein, Fernet Branca Menta, Quittenschnaps und Whisky von der Insel Holyhead. Wenn es eines der konstituierenden Muster des Kriminalromans ist, dass es am Anfang einen "Fall" gibt und es in Folge darum geht, diesen aufzuklären, dann macht sich Steinfest einen Spaß daraus, dieses Muster möglichst extensiv zu unterlaufen. Er zäumt seine Geschichte, wenn schon nicht von hinten, dann zumindest von der Seite auf, und es dauert seine Zeit, bis sich so etwas wie ein "Fall", ein kriminalistischer Kern der Geschichte, herauskristallisiert. Der scheint in "Mariaschwarz" darin zu bestehen, dass Clara, Vinzent Olanders Tochter, vor drei Jahren in Mailand entführt wurde und er Hinweise darauf zu haben glaubt, sein Kind in Hiltroff wiederzufinden. Scheint - denn Steinfest wäre nicht Steinfest, würde er nicht, kaum dass sich der Leser einigermaßen in der Geschichte zurechtgefunden und eingerichtet hat, die nächste Stufe zünden und die Spirale genussvoll auf die nächste Ebene weiterdrehen. Wenn es ein weiteres gängiges Muster des Kriminalromans ist, den Leser am roten Faden Schritt für Schritt an die Lösung des "Falls" heranzuführen, dann bekommt der Leser den roten Faden hier ein ums andere Mal wieder vor der Nase weggezogen - alles nicht wahr, alles nur Illusion, eigentlich geht die Geschichte ja ganz anders. Und das immer nur bis zum nächsten Schwenk. Steinfest beherrscht dieses Spiel perfekt und inszeniert in "Mariaschwarz" rund um das verschwundene Mädchen ein Verwirrspiel mit verschiedenen Versionen ein und derselben Geschichte, in dem bald nicht mehr klar ist, was Realität ist und was Einbildung, was Wahrheit und was Lüge. Versteht sich von selbst, dass unter solchen Vorzeichen jeder und jede in Verdacht geraten kann, Steinfest macht in dieser Hinsicht nicht einmal vor dem ermittelnden Inspektor halt und stellt so ein weiteres Konstitutiv des Kriminalromans auf den Kopf. Alles eine Frage der Perspektive. Wer die "Guten" sind und wer die "Bösen", das ist ohnehin nicht klar, auch wenn sich auf dem Fundament dieser Unterscheidung das Gros der Kriminalliteratur bewegt. Da passt es nicht schlecht, dass der ermittelnde Inspektor Wittgenstein-Anhänger ist, um genau zu sein: war, weil er sich - fast schon möchte man sagen, mit dem für Steinfest typischen Schwenk - von seiner philosophischen Liebe gerade wieder losgesagt hat; Zweifel am Zweifel eben. Überhaupt der Inspektor: Wieder macht sich Steinfest einen Spaß daraus, gängige Muster zu unterlaufen, führt den Kommissar nicht etwa am Anfang ein, um erst einmal alle seine Macken und privaten Händel auszubreiten und ihn dann zum Träger der Geschichte zu machen, in "Mariaschwarz" taucht der Ermittler erst im zweiten Drittel auf, und dessen private Geschichte bekommt der Leser überhaupt erst zum Schluss des Romans "nachgeliefert". Die erzählt dann abermals von Abweichungen von der Norm. Die "verwirrende Geometrie des Falls", das lustvolle Spiel mit den Regeln des Genres sind aber nur der eine Teil des Vergnügens an der Lektüre. Dem Autor geht es ja auch nicht allein um die Konstruktion von möglichst verzwickten Kriminalgeschichten, er hat auch sonst einiges zu sagen. Und er tut dies auf eine entspannte, beiläufige Art und Weise, erteilt den einen oder anderen, immer treffenden Seitenhieb - doch kein erhobener Zeigefinger weit und breit, eher ein über den Dingen Stehen und sich von Zeit zu Zeit Herablassen zu einem - dann verlässlich schrägen - Kommentar. Es geht auch hier um die Position des Betrachters, um das Wissen, dass jedes Ding zwei Seiten hat, wenn nicht mehr, und um die Kunst, was man zu sagen hat, einzubauen in eine komplexe Geschichte, die das Genre perfekt bedient, auch und gerade weil sie dessen ungeschriebene Regeln permanent unterläuft und in fantasievollen und fantastischen Schwenks in alle nur denkbaren Richtungen dehnt. Das ließe sich auch über andere gelungene Kriminalromane sagen, und das Genre wird derzeit von nicht wenigen Autoren - und Autorinnen! - erfolgreich benutzt, variiert und mitunter auf hohem literarischem Niveau vorangetrieben. Steinfests Romane zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen die Lust am Spiel vielleicht am deutlichsten abzulesen ist und - fast schon ein Markenzeichen des Autors - die "Ausritte" und vermeintlichen "Abwege" von der Krimihandlung in der Regel eine Spur überdrehter, überraschender ausfallen; und dass ihm nicht so sehr daran gelegen ist, die Welt zu erklären, sondern eine ohnehin nicht erklärbare Welt als solche darzustellen. In Steinfests Worten: "Die Sache war extrem unklar. Aber die ganze Welt war extrem unklar. Die Welt lag verschleiert in einem Hiltroffer Nebel, einem Nebel allerdings, der Augenblicke allergrößter Klarheit aufwies. Selbstredend konnte man die Klarheit nur sehen, wenn man richtig stand. Und wenn man bereit war, nicht alles durchschauen zu wollen." *Literatur und Kritik* Joe Rabl


Dieses Medium ist verfügbar.

Personen: Steinfest, Heinrich

DR.D Ste

Steinfest, Heinrich:
Mariaschwarz : Kriminalroman / Heinrich Steinfest. - München : Piper, 2008. - 315 S.
ISBN 978-3-492-05180-4

Zugangsnummer: 17250
Kriminalroman/ Thriller - Buch