Quelle: Pool Feuilleton; Warum tut sich das die Meeresschildkröte an, dass sie Tausende Kilometer schwimmt, um zu fressen, und dann wieder zurück hechelt, um die Eier für die nächste Generation in den Heimatsand zu vergraben? Delphine Coulin lässt das große Thema Migration auf den Mali-Bürger Samba Cissé einprasseln. Er ist nach dem Tod seines Vaters mit einem frischen Matura-Zeugnis in der Tasche aus Mali fortgegangen, um ähnlich der Schildkröte für das Essen und Überleben seines Clans zu sorgen. Nach mehrmaligem Scheitern gelangt er seltsam hartnäckig nach Paris, wo er bei seinem Onkel Unterschlupf findet. Knapp zehn Jahre lang geht alles gut, ehe Samba mit seiner Gutgläubigkeit gegenüber der Behörde alles ins Wanken bringt. Samba will seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen, die aber schon seit Jahren abgelaufen ist. Die Behörde reagiert reflexartig mit Verhaftung und Aussicht auf Abschiebung. Aber auch die Behörde kriegt in diesem Roman ein Gesicht, der zuständige Beamte lässt sich die ganze Geschichte erzählen und geniert sich fast für die Aussichtslosigkeit des Falles. Eine Ich-Erzählerin, die als Bibliothekarin alle Voraussetzungen für die Lösung von Problemen mit sich bringt, springt Samba bei und organisiert eine notdürftige Rechtsvertretung. Jetzt ist Samba zwar wieder frei, aber das Abschiebeverfahren läuft nach wie vor. Samba steht unter Dauerdruck, die Mutter in Mali will Kohle, weil sie ins Krankenhaus muss, der Onkel in Paris kriegt Schwierigkeiten, weil er ihm seine Papiere geliehen hat, damit er sich sich für eine Arbeit bewerben kann. Zu allem Überfluss schießen auch noch die Hormone zur ungünstigen Zeit ein und verlangen nach einem Liebesverhältnis mit einer Friseurin aus dem Kongo, die akkurat seinem Arbeitskollegen und Freund Jonas versprochen ist. Wer illegal im Land ist, kann eigentlich nichts mehr richtig machen, weil alles illegal ist. Samba führt ein Leben unter diversen Identitäten, als sein Freund mit seinen Abschiebepapieren ertrinkt, wird er in seinem Namen für tot erklärt und jetzt ist Samba wenigstens seine Abschiebesorgen los. Unter falschem Namen macht er weiter, um seine Schildkrötenmission zu erfüllen. Im Roman machen alle alles richtig, und dennoch sind die Zustände widerwärtig und inhuman. Die Beamten erklären sanft oder brachial, dass in Frankreich nicht Platz für alle sein kann, Samba erklärt geduldig, wie er das Land liebt und dass es doch auf ihn nicht ankommt. In schweren Stunden verflucht er das Land und stellt in Aussicht, dass all die abgewiesenen Seelen eines Tages das Land verfluchen und über es herfallen werden. Die Literatur ist dazu da, ausweglose Geschichten zu erzählen und dadurch in jenes Licht zu rücken, das vielleicht einen Ausweg bietet. Kein Mensch weiß momentan, wo es hingehen soll, die Behörde nicht und Samba nicht. Am ehesten die Bibliothekarin, die diese Geschichte aufgeschrieben hat. Helmuth Schönauer
Personen: Coulin, Delphine Schwarze, Waltraud ª
DR.G Cou
Coulin, Delphine:
Samba für Frankreich : Roman / Delphine Coulin. Aus dem Franz. von Waltraud Schwarze. - 1. Aufl. - Berlin : Aufbau-Verl., 2017. - 268 S.
ISBN 978-3-351-03593-8 EUR 17.50
Gesellschaftsroman/ Liebesroman - Buch