Vergeblich versucht der elfjährige Cyril, aus einem Erziehungsheim seinen Vater Guy anzurufen. Nach einem Monat wollte ihn der Vater von dort wieder abholen. Am nächsten Tag schwänzt Cyril die Schule und macht sich auf den Weg zur väterlichen Wohnung. Als er den Betreuern aus dem Heim zu entkommen versucht, die ihm auf den Fersen sind, versteckt er sich in einer Arztpraxis. Dort begegnet er der Friseurin Samantha, die er fest umklammert und nicht mehr loslassen will, als die Erzieher ihn finden. Es stellt sich heraus, dass die Wohnung des Vaters leer ist. Niemand weiß, wo er sich aufhält.
Nach einigen Tagen bringt Samantha ihm sein Fahrrad, das er für gestohlen hielt. Sein Vater hatte es verkauft. Gemeinsam finden sie Guy bei einem Aushilfsjob - und tief verletzt muss Cyril erkennen, dass der Vater nichts von ihm wissen will. Samantha tröstet ihn. Nun besucht er sie regelmäßig. Auch die Erfahrung falscher Freunde, die in Drogenhandel und Überfälle verwickelt sind, bleibt ihm nicht erspart. Doch Samantha hält trotz aller Schwierigkeiten zu ihm.
Unsentimental und mit großem Einfühlungsvermögen erzählt das Sozialdrama der Brüder Dardenne von einem widerborstigen Jungen, der unermüdlich um Liebe und Anerkennung kämpft. Cyril, beeindruckend verkörpert vom Debütanten Thomas Doret, ist pausenlos in Bewegung, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Seine innere Rastlosigkeit vermittelt sich in eindrucksvollen Bildern. Einmal mehr verbinden die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne dokumentarische Unmittelbarkeit mit einer aufwühlend erzählten Geschichte. In der Rolle der sanftmütigen Ziehmutter Samantha zeigt die französische Star-Schauspielerin Cècile de France eine ebenso unprätentiöse wie glaubhafte Darstellung.
Jury der Evangelischen Filmarbeit "Film des Monats": "Der Film konzentriert sich auf die Suchbewegung nach einem Zuhause, in dem Cyril sich geborgen und anerkannt fühlt. Das Fahrrad wird zur Metapher dieser Bewegung, weil es die bedrängende Dynamik und nervöse Energie verkörpert, mit der er nach einem solchen Ort für die eigene Identitätsbildung Ausschau hält. Eindringlich folgt die Kamera dem stets unruhig-impulsiven Verhalten des Jungen, der um soziale Aufmerksamkeit kämpft. Samanthas Fürsorge ist ein elementarer humaner Impuls, dem sie folgt, ohne dass dies psychologisch erklärt wird. Ein von seinem Vater verlassener Junge findet Zuwendung dort, wo er sie gar nicht erwartet hat, bei einer Fremden, deren Menschlichkeit im Kontrast wie aus dem Märchen – oder dem Kino erscheint. Wenn der Film der Verlässlichkeit familiärer Bindungen misstraut, so will er dennoch keine Welt ohne Hoffnung zeichnen."
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Der Junge mit dem Fahrrad
Drehbuch: Luc Dardenne, Jean-Pierre Dardenne; Schauspieler: Olivier Gourmet, Thomas Doret, Cécile de France, Fabrizio Rongione, Jérémie Renier, Egon di Mateo; Produktion: Luc Dardenne, Denis Freyd, Jean-Pierre Dardenne; Regie: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne; Kamera: Alain Marcoen; Montage: Marie-Hélène Dozo; Sound Design: Jean-Pierre Duret
Belgien/Frankreich/Italien 2011; FSK 12; Sprachfassung: Deutsch, Französisch; 1 Online-Ressource (84 min); Bild: 1,85:1 HD
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