Die Homerübersetzung von Wolfgang Schadewaldt, 1974 vollendet, gilt als Meisterwerk eines der berühmtesten Altphilologen. Schadewaldt übersetzt in der Zeilenstruktur Homers, verzichtet aber auf den griechischen Hexameter, um sich so umso mehr der Textstruktur und ihrer Bildhaftigkeit widmen zu können. Die Kraft der homerischen Sprache wurde adäquat ins Deutsche übernommen. - Nun wagte sich der Schauspieler Rolf Boysen, einer der großen alten Männer aus dem Ensemble der Münchner Kammerspiele bzw. jetzt des Residenztheaters, zu einer öffentlichen, etwas gekürzten Lesung, die als Mitschnitt im Hörverlag vorliegt. Die Ausgabe umfasst insgesamt 6 CDs in einer Gesamtdauer von ca. siebeneinhalb Stunden. Obwohl Livemitschnitt, hat die Aufnahme Studioqualität. Und höchste Qualität hat die sprecherische Leistung Rolf Boysens, der der sprachlichen des Übersetzers voll gerecht wird oder ihr erst zur Geltung verhilft: Denn Schadewaldts Text verlangt natürlich eine gewisse Anstrengung vom Leser, das Zuhören der Gestaltung Boysens verschafft erstaunlicherweise tatsächlich ein reines Vergnügen. Die oft nicht einfachen Strukturen, die stereotypen Formulierungen, die ausführlichen Beschreibungen und Redewiedergaben erhalten durch den Sprecher eine erstaunliche Plastizität. Der weit über 80-Jährige zieht eine Summe der Erfahrung aus der Erarbeitung seiner vielen großen Rollen seines Lebens. - Die CD-Ausgabe ist sorgfältig ediert: Man findet eine Einführung in die Ilias, eine Inhaltsangabe der einzelnen Gesänge, in der die ausgelassenen Stellen markiert sind, sowie ein Personenverzeichnis; kurz alles, was man für eine fundierte Beschäftigung mit dem Werk braucht.

---

Personen: Homer