Behutsam tastende, stark reflektierende Spurensuche nach den Wegen des Urgroßvaters. (DR) "Für Ungeduldige wird das Buch sich nicht eignen", bemerkt die Autorin, die mit 18 aus Deutschland weg nach Frankreich gegangen ist, in den einleitenden Erklärungen, warum sie dem dringenden Wunsch nachgeht, sich durch penible Nachforschungen über ihre Vorfahren Klarheit zu verschaffen und die drückende familiäre "Schweigelast" abzuwerfen. Im Besonderen geht es um ihren Urgroßvater väterlicherseits mit dem Namen Florens Christian Rang, den sie jedoch der Einfachheit halber Sanderling nennt, nach einem Wasservogel an französischen Küsten. Sanderling also hat ein nie vollendetes und nie veröffentlichtes Buch verfasst mit dem zornigen Titel "Abrechnung mit Gott", das die Geschichte des Christentums und seine persönlichen Glaubens(irr)wege zusammenfassen sollte. Anne Weber folgt den Spuren dieses Mannes, der ein äußerst Gebildeter, mit prominenten Geistesgrößen seiner Zeit Befreundeter, ein Suchender, aber auch ein Haltloser und Radikaler war. Zuerst von Köln (Studium der Rechte) über das polnische Posen (evangelischer Pfarrer) bis nach Braunfels an der Lahn, wo er ab 1920 seine letzten Lebensjahre zurückgezogen zubrachte. In seiner Zeit als Pastor im von Preußen verwalteten polnischen Gebiet fragte Sanderling einst einen Arzt in der Irrenanstalt: "Warum vergiften Sie diese Menschen nicht?" Lässt sich von hier eine direkte Verbindung zu den 50 Jahre später begangenen Euthanasieverbrechen der Nazis ziehen? Die von gründlichen und stark reflektierenden Überlegungen begleitete Spurensuche in der persönlichen Familiengeschichte ist trotz ihrer Privatheit deswegen lesenswert, weil sie die von unvorstellbaren Verbrechen und Katastrophen geprägte deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts aus einer sehr ehrlichen Auseinandersetzung heraus besser zu verstehen hilft.
bn.bibliotheksnachrichten Maria Schmuckermair

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Personen: Weber, Anne