Dieser Mann ist nicht zu bremsen. Er leidet und sucht sich ein Ventil im Schreiben. Er sitzt in einer Klinik und verschafft sich Luft, um an seinem Drama nicht zu ersticken. Er zieht Bilanz über ein verkorkstes Leben in Form einer ausgedehnten schriftlichen Rede an seine Tochter, die er nie abschickt. Als Künstler bleiben seine Erfolge bescheiden, im Privatleben ist der Wurm drin. Die Innenschau liegt dem Kerl nicht, deshalb nimmt er seine Umwelt und die Menschen, die am nächsten stehen ins Visier und rechnet ab. Schuld am Versagen sind die anderen. Dem Psychiater bleibt die undankbare Aufgabe überlassen, diese Schrift nach dem Tod des Patienten dessen Tochter auszuhändigen. . So sieht die Konstellation der jüngsten Erzählung von Raoul Schrott aus, der, ein gewiefter Intellektueller, einen reinen Leidensbereicht niemals abliefern würde. Erleichterung ist dennoch nicht angebracht. Denn Schrott verbrämt die Zerstörung einer Seele hinter aufgedonnertem Bedeutungsschwulst. Ein Maler geht eine Beziehung mit einem Aktmodell ein, daraus erwächst ein Kind. Kaum zur Mutter geworden wird die Frau zur Furie und sucht, den Vater vom Kind fernzuhalten. Der kommt über diese Schmach nie hinweg. Er bringt seinen Schmerz in die Form einer aufgetakelten Prosa, er jammert auf hochgezüchtetem sprachlichen Niveau. Das hat einen Kitscheffekt zur Folge: "bereits ein Blick in deine Augen genügte und wir verstanden uns sprachlos, dein Vertrauen bedingungslos und ich dir damit ausgeliefert." So deutet der stolze Vater die Begegnung mit einem Neugeborenen, damit muss eine Tochter erst einmal fertig werden. Schon schreibt sich der Vater in einen Begeisterungstaumel, er kennt keine Hemmungen, sucht immer Worte der größtmöglichen Emotionalisierung: "Deine Augen sahen in den ersten Wochen kaum eine Armlänge weit; das Blinde darin aber war nun in mir und bestimmte mich." Ein sprachliches Blähwerk türmt sich vor uns auf, das auf das Kind, das er damit bedenkt, einschüchternd wirken muss in dieser monomanischen Suada. "Du warst mehr als eine Tochter und dies die Liebe eines Vaters: du warst der Teil, der sich abspaltet in diesem unmerklichen Dahinsterben von Tag zu Tag, das, was als einziges wirklich lebt." Es tut mir leid, aber ich kann darin nichts als schwurbelige Scheinwichtigkeit erkennen. Was zählt ist der Mann, sein Schmerz, seine Trauer, sein Leiden, seine Wut. Alle anderen, das Kind und die beiden Frauen in seinem Leben haben gefälligst zurückzustecken. Das Kind darf nicht Kind sein, es wird zum Bedeutungsträger einer eitlen Selbsterhöhung. Die beiden Frauen bilden ein schönes Kontrastpaar, in beiden Fällen entspringen die dem Musterkatalog des klassischen Herrenreiters. Die Mutter des Kindes ist ein Biest, das eigennützig handelt, das Mädchen ganz für sich allein will und sich widerstandslos einem Hassprogramm fügt. Dazu passt, dass Sexualität für sie mit Gewalt verbunden ist. Sie will geschlagen, gewürgt, gebrannt, gedemütigt werden, der Erzähler spielt mit, erfüllt - der Gute - schlechten Gewissens alle Forderungen und fühlt sich als das Opfer. Gut, das wird nichts mit den beiden, eine andere Frau muss her. Die stellt sich in Gestalt der Asiatin Kim her, dem Krankenschwester-Typus. Wenn sich der Erzähler, weil er nicht mehr aus noch ein weiß - dramatische Selbsterhöhung - selbst schwere Verletzungen zufügt, ist sie zur Stelle und versorgt die Wunden. Die Frau als Mutter und Hure, auf dieser Bewusstseinsstufe befindet sich diese Erzählung. Dagegen dieses Porträt eines vor Liebe überschäumenden Vaters, rührender hätte sich Rosamunde Pilcher eine Geschichte auch nicht ausdenken können. Sprachlich allerdings agiert Schrott ungleich raffinierter. Er weiß, was er tut, ihm passiert der hohe Ton, den er immer wieder anschlägt, nicht. Das aber macht es auch so schwierig, die Erzählung zu kritisieren. Wenn kurzfristig der Ansatz zur Selbstkritik aufkommt ("Meine Selbstsucht war nicht geringer als die deiner Mutter"), dann wird sie entschuldbar, weil der Erzähler ja jemand ist, der nur reagiert. Der Aggressor ist die Frau. Der Mann bezichtigt sich, die Liebe des Kindes zur Mutter verraten zu haben, und das ist immerhin nicht weniger als "das einzig Heilige". Jetzt befinden wir uns im Bereich der Religion, des Glaubens. Hier muss Kritik kapitulieren, man muss sich entscheiden kopfnickend auf Knien zu folgen oder man bleibt draußen. Die Haltung des Künstlers steht nie in Frage. Als Erzähler hält er ja die Fäden in der Hand, er entscheidet über Dramaturgie und Auswahl des der Aufzeichnung Würdigen. Er ist die Instanz der Weltdeutung, der Erzähler als Despot über unser Denken und Fühlen. Er fordert Gefolgschaft, um Teil einer Verschwörung gegen empörende Verhältnisse zu sein. Einer "längst nicht mehr zeitgemäßen Judikatur" wird hier der Prozess gemacht. Dennoch ist es etwas kurz gedacht, wenn wohlmeinende Kritiker das Buch als reinen Angriff auf die österreichische Praxis lesen, unverheirateten Vätern den Zugang zu ihren Kindern drastisch einzuschränken. Dafür ist diese Erzählung dann doch zu weitläufig. Eine andere Erzählschicht schiebt sich nämlich noch ins Buch. Ein Auftrag führt den Künstler nach Kroatien, wo er es mit lauter windigen Gestalten zu tun bekommt. Diese Episode ist deshalb wichtig, weil sie Kim ins rechte Licht rückt. Der Verleger aus Deutschland, ein Profiteur, kroatische Politiker, eine korrupte Bande, die Verhältnisse auf dem Balkan erweisen sich als verworren, die Menschen sind roh und ungeschlacht. Es ist ganz normal, wenn einem Autofahrer als Strafe für ein minderes Vergehen von seinem Kontrahenten auf offener Straße ein Ohr abgeschnitten wird. Da gibt Kim einen schmucken Kontrast ab in ihrer aparten, selbstbewussten Art. Als Lichtgestalt bekommt sie Glanz und Aura, ein apartes Persönchen in einer rauen Männerwelt. Ein schlechtes Buch - kein Drama. Passiert jedem Schriftsteller einmal.
Personen: Schrott, Raoul
Schrott, Raoul:
Das schweigende Kind : Erzählung / Raoul Schrott. - München : Hanser, 2012. - 198 S.
ISBN 978-3-446-23864-0 fest geb. ca. Eur 18,40
Gesellschafts-, Liebes- und Eheromane - Signatur: DR.G Schro - Romane Belletristik