Müller, Walter
Kleine Schritte Roman
Romane Belletristik

Große Zeiten, kleines Glück Walter Müllers berührender Roman "Kleine Schritte" Ausgehen, tanzen, ins Kino, auf ein Gläschen Wermuth. Flirten. Küssen ("küsst er keusch oder richtig"). Sich verlieben. Sich binden, rasch, an nahezu Unbekannte. Es ist, als wollten die ProtagonistInnen - junge Leute um die 17, 18 Jahre - mit ihrer Lebenslust den Tod bannen. Denn die Front, der Krieg und die ersten Todesnachrichten von Bekannten und Angehörigen schweben als ständige Bedrohung über dem nur scheinbar unbeschwerten Szenario. Fritz, der Unteroffizier, bittet die Grete immer inständiger, dass sie doch zu ihm gehören solle. Bald wird er wieder wegmüssen. Bald wird sich auch Werner, Gretes Bruder, der sich freiwillig an die Front gemeldet hat, verabschieden. Und es wird ein Abschied für immer sein. Jung-Sein in Salzburg in der NS-Zeit. Im Gablerbräu geben sich BDM-Mädels und HJ-Burschen ein Stelldichein zur Weihnachtsfeier, im Mirabellkino wird "Jud' Süß" gegeben, vom Grammophon erklingt "Du schwarzer Zigeunerà" und im Radio werden die Reden Hitlers übertragen. Auf dem Juxstandesamt fürs Winterhilfswerk wird geheiratet. Am Samstag, den 2. November 1940, wird Grete Schöner dreimal standesamtlich getraut. Zuerst mit dem Polizisten Hubert Körner, dann mit einem gewissen Gottfried Bach, schließlich mit Robert Kremsmayer. Eine gute Tat ist die Juxheiraterei, fürs Winterhilfswerk, an der sich auch Gauleiter und SS-Oberführer beteiligen, um die Verbundenheit der Führung mit dem Volk zu demonstrieren. Grete Schöner ist 17 und sie schreibt Tagebuch. Diese Tagebücher seiner Mutter aus den Jahren 1940/41 hat Walter Müller zu einem berührenden Roman verarbeitet, der auch eine Liebeserklärung an die Mutter ist: Kann man sich posthum in seine eigene Mutter von damals verlieben? fragt der Autor in einem literarischen Zwiegespräch mit der Mutter, das er in den Erzählstrang einflicht. Eine Handvoll alter Fotos, Dokumente und Zeitungsausschnitte hätten ihm geholfen, "Kleine Schritte" zu schreiben. Walter Müller hat die Tagebücher der Mutter zu einem Berlinaufenthalt mitgenommen und gesteht ihr in dem drängenden Zwiegespräch: Daheim habe er es nicht geschafft, daheim beschäftige er sich mit fremden Schicksalen. Bin ja Trauerredner geworden, halte Abschiedsreden für andere. Wäre Dir das peinlich? Entstanden ist ein Stück Alltagsgeschichte aus der Nazi-Zeit, eine unspektakuläre Geschichte, und doch dringen Judenverfolgung, Euthanasie und politische Repression auch in den Alltag der ProtagonistInnen ein - wenn etwa die "beklopfte Lisa", der wohl ein Schicksal in einer Heilanstalt und Schlimmeres gedroht hätten, nach einem Hundebiss an einer Blutvergiftung stirbt; wenn der Herr Lutz in der Zeitungsredaktion eines Tages von einem politisch Zuverlässigeren abgelöst wird, weil er das Maul immer zu weit aufgerissen hat; wenn die Gestapo Gretes Freundin Anni Kammerlander mitnimmt und demütigt, weil sie verdächtigt wird, eine Judenhure zu sein oder wenn es um die Frage geht, ob der Ziehharmonikalehrer Silberschneider aufgrund seines Namens wohl ein Jude ist oder nicht. Zum Alltag und zur Normalität gehören auch die unerfüllten Träume. Gretes Bruder Werner hat vom Zirkus geträumt und in der Waschküche Trapezkunststücke ausprobiert. Und ist in Russland geblieben.Gretes Mutter Marie, nach gescheiterter Ehe mit dem 1. Franz, träumt vom zweiten Glück mit dem 2. Franz, wird mit über 40 Jahren nochmals schwanger, 16 Monate später wird das Kind begraben, der 2. Franz hat es nicht einmal gesehen. Mit nur in kleinen Schritten abnehmender Zuversicht, teilt der Autor seiner Leserschaft mit, hat die Marie bis zu ihrem Tod, 35 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, auf den Werner und den 2. Franz gewartet. In seine Geschichte einer Jugend inmitten von Krieg und Nazi-Terror hat Walter Müller auch Notizen aus Berlin eingearbeitet, vom Besuch des jüdischen Friedhofs in Weißensee oder des Jüdischen Museums. Gedanken über die Unmöglichkeit, den Lauf der Geschichte im Nachhinein zu verändern. Gottverdammte Scheiße, wenn man so viel weiß und nicht eingreifen kann. Nicht Halt! schreien kann. Aufhören! Oder schon schreien, aber das kommt Lichtjahre zu spät. Davon wird keiner lebendig. *Literatur und Kritik* Judith Brandner


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Personen: Müller, Walter

Müller, Walter:
Kleine Schritte : Roman / Walter Müller. - Salzburg : O. Müller, 2010. - 198 S.
ISBN 978-3-7013-1180-4 fest geb. : ca. Eur 20,00

Zugangsnummer: 0050035001
Gesellschafts-, Liebes- und Eheromane - Signatur: DR.G Müll - Romane Belletristik