Vielschichtiges und beklemmendes Porträt über eine Exil-Iranerin, ihre Annäherung an sich selbst und das, was sie ausmacht. (DR) Macht es einen Unterschied, ob jemand als Erwachsener aus der Heimat flüchtet oder bereits als Kind mit der Familie auswandert? Warum verändert sich eine gebildete und selbstbewusste Frau im Exil zur Bittstellerin und demütigen Flüchtlingsmutter? Welchen Einfluss haben stereotype Eltern-Kind-Beziehungen auf künftige Generationen? Solche und ähnliche Fragen stellt sich die gebürtige Iranerin Nilou immer öfter. Als junges Mädchen hat sie sich in den USA zur Vorzeige-Immigrantin entwickelt - inklusive Hochschulabschluss und späterer Lehrtätigkeit als Anthropologin in Amsterdam, wo sie sich mit ihrem europäischen Ehemann Gui niedergelassen hat. Hier stellt sie persönlichen Kontakt zu einer Gruppe von iranischer Exilanten her. Bei den Treffen im "Zakhmeh" wird Nilou mit der ungeklärten und kaum erträglichen Situation von Asylbewerbern konfrontiert. Mit ihren neuen Freunden taucht sie aber auch in das Persien ihrer Kindheit ein. Traditionelle Poesie und Küche öffnen Nilous Augen für ihre eigenen Wurzeln und schlagen gleichzeitig eine Brücke zu ihrer Familie: So lebt ihr Bruder Kian seine Sehnsucht nach der Heimat als passionierter Koch aus. Und dann ist da vor allem der in der persischen Poesie bewanderte und Geschichten erzählende Vater, der allein schon aufgrund seiner Opiumsucht nicht die Energie aufgebracht hat, mit seiner Frau und seinen beiden Kindern das Land zu verlassen. Der Kontakt zu Baba wird mit spärlichen Telefonaten und wenigen, zum Teil dramatisch verlaufenden, Treffen in europäischen Städten aufrechterhalten. Nilou fühlt sich peinlich berührt von diesem vorzeitig gealterten Dr. Hamidi, der mit seinen Gebetsperlen wie ein Orientale aus dem Bilderbuch wirkt - scheinbar ein kultureller Kontrapunkt zu seinen angepassten Kindern im Exil. Auch wenn Nilou weiß, was sich in der Islamrepublik Iran abspielt, will sie ihm ein Leben als Flüchtling nicht zumuten, weg von der Tradition extremer Geselligkeit zu den kühlen europäischen Umgangsformen, wo sich niemand mitfühlend nach der "Atmosphäre des Herzens" erkundigt. Autobiografisch gefärbter Roman in mehreren Erzählsträngen mit prägnant gezeichneten Charakteren und viel Symbolik zwischen den Zeilen, der zahlreichen LeserInnen zu empfehlen ist.
Personen: Nayeri, Dina
Nayeri, Dina:
Drei sind ein Dorf : Roman / Dina Nayeri. Aus dem Amerikan. von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. - Hamburg : mareverlag, 2018. - 367 S.
ISBN 978-3-86648-286-9 fest geb. : ca. € 24,70
Schöne Literatur - Signatur: Nayer - Buch