33 BOGEN UND EIN TEEHAUS: Warum sollten Kinder das lesen wollen? Ihre Sprache duftet nach Kardamom, sie schimmert farbig wie die Oberfläche alter Orientteppiche. Und doch: Mehrnousch Zaeri-Esfahani erzählt von Kindern auf der Flucht. Mehr als 30 Millionen weltweit sind es im Moment. Ertrunkene Kinder an sonnigen Stränden, Babys, die unter Stacheldraht hindurchgereicht werden, zaghaftes Kinderlächeln in irgendeinem Auffanglager: solche Bilder flankieren schon lange jeden europäischen Tag. Und doch wird Mitgefühl relativiert, verschwindet in Begriffen wie „Flüchtlingsobergrenze“ oder „Tageskontingent“. Durch ihre Geschichten gibt Zaeri-Esfahani den Flüchtenden ihre Schicksale zurück. Die Autorin hat selbst vor dreißig Jahren die unheimliche Flucht aus dem Iran über die Türkei und die DDR nach Heidelberg durchgemacht, die Drangsale der Asylsuchenden erfahren. Aus der Perspektive des achtjährigen Mädchens berichtet sie in „33 Bogen und ein Teehaus“ autobiographisch davon. Wir erfahren, dass der Terror des pseudoreligiösen Regimes bis in die Kinderzimmer wirkte: Mehrnouschs lange Haare müssen abgeschnitten werden, vor ihren Augen wird eine Mitschülerin blutig geschlagen, die Brüder sollen als Kindersoldaten den Märtyrertod sterben und zuletzt fallen Bomben auf ihre Heimatstadt. Warum sollte ein Kind heute das lesen wollen? Vielleicht, um die Szenen besser zu verstehen, die ständig über alle Bildschirme flimmern. Vor allem aber: Weil so wunderbar poetisch und ungekünstelt erzählt wird. Weil die Kinder in diesem Buch Kinder sind, die sich noch in den unmöglichsten Situationen freuen können, die immer und überall spielen und niemals die Hoffnung ganz aufgeben. Das Märchen vom Glück bleibt gegenwärtig, in unendlichen Warteschlangen und dreckigen Etagenbetten: „Wir müssen alles aufgeben. Wir werden nicht mehr reich sein. Wir werden vielleicht sogar in Armut leben. Nichts wird mehr so sein wie bisher. Wollt ihr das?“, so fragte der Vater am Vorabend der Flucht und vier Kinder stimmten jubelnd zu. Jetzt sind sie auf ihrer Heldenreise und werden geprüft und bestehen alle Herausforderungen und kommen heim. In eine neue Heimat zwar, aber sie kommen an und das macht Mut. DAS MONDMÄCHEN: Ganz märchenhaft ist dieselbe Reise in „Das Mondmädchen“ geschildert. Durch ihre eigene Fluchterfahrung, aber auch durch ihre Tätigkeit als Sozialpädagogin in der Flüchtlingshilfe, weiß Zaeri-Esfahani, wie gewaltig, ja übermächtig die Ängste eines Kindes sein können. Und so gibt sie ihrer jungen Heldin hier besonders liebevolle Eltern, sprechende Katzen und eine beschützende Fee auf den Weg. Für Notlagen steht ein treues Schwanenpaar bereit, das bedrohte Familienmitglieder an einen „sicheren Ort“, nämlich in das paradiesische Land Athabasca bringt. Wird das Gefühl der Bedrohung in „33 Bögen“ weitgehend „überspielt“, erlebt das Kind in „Mondmädchen“ heilende Imagination. Es muss nicht immer eine dramatische Flucht sein, die traumatisierend wirkt. Schon der Umzug in eine fremde Stadt oder die Trennung von geliebten Menschen kann für Kinder verstörend genug sein, um sich hier innig zu berührt fühlen. Zu beiden Erzählungen hat Mehrdad Zaeri, ein Bruder der Autorin, Tuschezeichnungen geschaffen. Sie bieten die gleiche Verschmelzung zwischen Poesie und Einfachheit, zwischen orientalisch anmutender Kunstfertigkeit und kindlicher Naivität wie der Text. Als zarte Gesten schmücken sie die „33 Bogen“, üppig wie in einem Bilderbuch entführen sie uns mit dem „Mondmädchen“ in eine zauberhafte Welt. Wohltuend, was für Klein und Groß hier, inmitten leidvollster Erfahrung, aufleuchtet: Freude am Leben, Liebe zu Menschen und Tieren, zur Natur überhaupt. Siehe weiters: Mehrnousch Zaeri-Esfahani: 33 Bogen und ein Teehaus
Personen: Zaeri-Esfahani, Mehrnousch Zaeri, Mehrdad
Zaeri-Esfahani, Mehrnousch:
¬Das¬ Mondmädchen / Mehrnousch Zaeri-Esfahani. Mit Ill. von Mehrdad Zaeri. - München : Knesebeck, 2016. - 143 S. : Ill.
ISBN 978-3-86873-956-5 fest geb. : EUR 15.40
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik, Sammlungen - Signatur: ZAE - Buch