Eine anspruchsvolle Vorleselektüre bietet dieses erschütternde Porträt von sechs Kindern, die im 2. Weltkrieg im Sammellager Westerbork landen. (ab 10) (JE) Während des 2. Weltkriegs wurden über das niederländische Durchgangslager Westerbork mehr als 18.000 jüdische Kinder und 100 Sinti-Kinder deportiert, sie kehrten nie mehr zurück. Stellvertretend für diese unzähligen Opfer stehen die Geschichten der kindlichen Protagonist_innen dieses wichtigen Buches, die die niederländische Autorin Martine Letterie in Zusammenarbeit mit dem Erinnerungszentrum Westerbork verfasst hat und die auf Interviews mit Überlebenden und Gesprächen mit einem Rabbiner beruhen. In drei Erzählabschnitten - "So fing es an", "Im Lager" und "Frieden" - wird kapitelweise über die Erlebnisse von Rosa, Jules, Bennie und anderen in dieser dunklen Zeit berichtet. Alles wird konsequent aus einem kindlichen Blickwinkel wahrgenommen und im Präsens wiedergegeben, wodurch große Unmittelbarkeit entsteht und tiefe Betroffenheit ausgelöst wird. Doch die auktoriale Erzählperspektive und die klare, nüchterne Sprache sorgen für gute Verständlichkeit und schaffen für kindliche Leser_innen die notwendige Distanz, um die schrecklichen Vorkommnisse aufnehmen zu können. Feine Zwischentöne, zu Herzen gehende Sätze und Szenen stärken das empathische Empfinden kindlicher Leser_innen ohne sie emotional zu überfordern. Die zarten, vielfach farbenfrohen Aquarelle der österreichischen Illustratorin Julie Völk spiegeln die selbst in so düsteren Tagen mitunter fröhlich-unbeschwerte kindliche Erlebniswelt wider und machen die thematische Schwere dieses von Andrea Kluitmanm ausgezeichnet übersetzten Buches tragbar. Besonders ergreifend sind die drei eingestreuten Originalzeichnungen des neunjährigen Leo Meijer, der als einziger der hier porträtierten Kinder nicht überlebte. Die Autorin hofft, dass Kinder, denen diese Geschichten vorgelesen werden, vernünftige Erwachsene werden, die wissen, welche Folgen es haben kann, wenn man andere ausschließt. Angesichts der heutigen politischen Stimmungslage ein wichtiger Appell! Obgleich behutsam, leise und kindgerecht über die systematische Vernichtung von Menschen und die Gräuel des 2. Weltkriegs berichtet wird, sollten jüngere Kinder bei der Lektüre von einem Erwachsenen begleitet werden, sodass auftauchende Fragen und Gedanken sofort aufgegriffen werden können. Eine einfühlsame Geschichte, die dank des hohen Informationsgehalts und der seriösen Recherchearbeit ehestmöglich einen Grundstein für ethisches Denken und historisches Bewusstsein legen kann und sich auch als Schullektüre für ältere Kinder hervorragend eignet.
Personen: Letterie, Martine
Letterie, Martine:
Kinder mit Stern / Martine Letterie. Aus dem Niederländ. von Andrea Kluitmann. Mit Bildern von Julie Völkl und drei Zeichn. von Leo Meijer. - Hamburg : Carlsen, 2019. - 126 S. : zahlr. Ill.
ISBN 978-3-551-55762-9 fest geb. : ca. Eur 11,40
Romane / Comics 9-12 Jahre - Signatur: Ju 2 Let - Buch