Annotation: Anhand ihrer Aufzeichnungen gewährt die Autorin eine detaillierten Einblick in die alltägliche Lebenswelt regimetreuer Jugendlicher der NS-Zeit; im Nachwort wissenschaftlich erläuterter zeitgeschichtlicher Hintergrund. Rezension: Noch selten habe ich eine derart detaillierte Schilderung des Alltags einer engagierten Jugendlichen aus der Zeit des Nationalsozialismus gelesen. Mit ungebrochener Treue dient sie - altergemäß - in verschiedenen Jugendorganisationen und Positionen großteils im südlichen Niederösterreich (Wiener Neustadt, Kirchberg am Wechsel) den "wahren" NS-Ideen, Widerstand regt sich höchstens gegen das korrupte Verhalten von NS-Parteibonzen. Erst in den Siebzigerjahren (ca. ab S. 186 von 192) "[...] wird mein [d. h. der Autorin] Bild von damals immer schärfer und erbarmungsloser. Es bleibt eine nie endende Traurigkeit angesichts des unermesslichen Leides, das Deutsche ganzen Völkern zugefügt haben, und über die eigene Besudelung unserer Geschichte. [...] Die Art, wie gleich nach dem Krieg damit umgegangen wurde, machte die Bearbeitung auch nicht leichter. Hier die Schuldigen, die von nichts gewusst haben wollten, dort die Sieger, die unterstellten, jeder Deutsche müsste alles gewusst haben. Fernsehausschnitte aus amerikanischen Hetzfilmen gegen alles Deutsche haben mir [d. h. der Autorin] in ihrer Primitivität Angst gemacht."(S.188f) (Zum Vergleich dazu empfiehlt sich der anlässlich des Ablebens des Regisseurs Stanley Kramer kürzlich wieder im ORF gezeigte ausgezeichnete Film "Urteil von Nürnberg" / USA 1961 - samt Schlussbemerkung!) Als Resümee ihrer Aufzeichnungen kommt die Autorin zum Schluss: "Unsere eigene Vergangenheit können wie nie "bewältigen", weil wir Geschehenes nicht ungeschehen machen können, aber wir sollten daraus die Verpflichtung ableiten, täglich mitzudenken und mitzuhelfen im Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung. Und gegen die Heuchelei. Bei manchen Jugendlichen habe ich den Eindruck, dass es ihnen sehr gelegen kommt, durch das Aufdecken der Untaten und Versäumnisse vor mehr als einem halben Jahrhundert von dem abzulenken, wogegen jetzt anzugehen sie zu feige sind."(S. 190) Als Nachwort bietet die bekannte österreichische Zeitgeschichtlerin den wissenschaftlich präzisen Hintergrund zu den Erinnerungen, wobei es ihr auf zehn Seiten gelingt, ein ausgezeichnetes Abstract mit fast dem gleichen Schlusssatz wie Aull-Fürstenberg zu verfassen. Für weniger erfahrene Jugendliche empfiehlt es sich vielleicht, dieses Nachwort als Vorwort zu lesen. Jedenfalls sollten sie nicht darauf verzichten. *ag* Franz Derdak
Weiterführende Informationen
Personen: Aull-Fürstenberg, Margret Weinzierl, Erika
Standort: Bibliothek
BB
Aul
Aull-Fürstenberg, Margret:
Lebenslüge Hitler-Jugend : aus dem Tagebuch eines BDM-Mädchens / Margret Aull-Fürstenberg. Nachw. von Erika Weinzierl. - Wien : Ueberreuter, 2001. - 204 S.
ISBN 3-800-03808-0 fest geb.
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