Die englische Autorin Helen Peters, bislang vor allem durch ihre Bücher zu Tierkindern bekannt, präsentiert mit ihrem „spannenden historischen Abenteuerschmöker“, so der Verlag, „Mitternacht in Charlbury House“, eine durchaus geschickt konstruierte, solide geschriebene Zeitreise-Geschichte, die mit Sicherheit ihre Leser*innen finden wird. Die 13-jährige Protagonistin Evi soll fünf Tage bei ihrer Tante auf dem Land verbringen, während ihre Mutter und deren neuer Mann auf Hochzeitsreise gehen. Natürlich ist die ländliche Herberge in den Augen des Großstadt-Mädchens wenig komfortabel, und die Tante offenbart sich als eine unerwartet (und darin nur allzu erwartbar) exzentrische alte Dame, eine forensische Anthropologin: „Sie trug orangefarbene Sneakers zu einer schwarzen Hose und einer roten Jacke, und eine breite Strähne ihres silbergrauen Haars war pink gefärbt.“ Die Autorin entfaltet in drei umfassenden Roman-Teilen die Geschichte Evis, die sich auf die Spuren Sophia Fanes begibt, der einzigen Tochter eines wohlhabenden Gutsherren, die Anfang des 19. Jahrhunderts gelebt hat. Sophia verliebte sich damals in einen der Gärtner des Hauses und erwartete von ihm ein Kind, woraufhin sie von ihrem Vater eingesperrt wurde und dann spurlos verschwand. Leser*innen, die in dem Roman nach stilistischem Mut, gedanklichem Ausscheren oder originellen Bildern suchen, gehen leer aus. Der Höhepunkt der peterschen Erzählkunst ist erreicht, wenn sie – selten genug – Sätze findet wie: „Der Zug nach Highfield war ungefähr so schnell wie eine erschöpfte Nacktschnecke.“ Überall mangelt es an der Lust am Auserzählen und schöpferischen Schilderungen, die Sprache dient ausschließlich der Vermittlung von Informationen und dem Vorantreiben der Geschichte. Wer so etwas gerne liest, ist mit Evis Abenteuern in der Vergangenheit gut bedient: Für Kinder und Jugendliche, denen geschichtliche Themen fern sind, ist der Roman sicher ein geeignetes Mittel, um ihnen diese nachvollziehbar nahezubringen. So werden die von bitterer Armut, harter Arbeit und andauernden Ungerechtigkeiten geprägten Lebensbedingungen von Dienstboten in der vergangenen Zeit anschaulich gemacht, auch die untergeordnete Stellung der Frauen wird auf eher spielerisch-erzählerische als pädagogisch-belehrende Art und Weise thematisiert. Sobald sich die Autorin aber, zunehmend gegen Ende des Romans, über ihren doch recht eng gefassten Tellerrand hinauswagt und sich im poetisch-philosophischen Schreiben versucht, möchte man ihr am liebsten zuflüstern, das lieber nicht zu tun: „Alles hat seine Zeit und jegliches Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden hat seine Zeit; Pflanzen hat seine Zeit und das Ausreißen von Gepflanztem hat seine Zeit; Töten hat seine Zeit und Heilen hat seine Zeit; Niederreißen hat seine Zeit und Aufbauen hat seine Zeit …“ – so geht es dahin.
Altersempfehlung: ab 10 Jahren.
Personen: Peters, Helen Panzacchi, Cornelia
Peters, Helen:
Mitternacht in Charlbury House / Helen Peters. Aus dem Engl. von Cornelia Panzacchi. - Stuttgart : Thienemann, 2020. - 367 S.
Einheitssacht.: Evie's Ghost
ISBN 978-3-522-18515-8 fest geb. : ca. € 15,50
Kinderbücher für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren - Signatur: Peter - Buch