Ein wesentlicher Teil unseres literarischen Diskurses besteht darin, was DichterInnen über ihre KollegInnen so sagen und schreiben. 'Dichter beschimpfen Dichter“ heißt eine von Jörg Drews erstellte und 1994 bei Reclam Leipzig erschienene Sammlung von 'Kollegenschelte“. Größer noch als diese medienwirksamen Abwertungen ist der Anteil an wechselseitig bekundeter Anerkennung und Faszination. Wenn sich Walter Kappacher in seinem 'Fliegenpalast“ Hugo von Hofmannsthal als Thema erwählt, so fällt dies in keine der beiden Kategorien. Was Kappacher hier unternimmt, ist vielmehr ein behutsamer Einstieg in die innere Lebenswelt eines Menschen und Künstlers. Zehn Tage in Bad Fusch Kappacher führt uns zurück in das Jahr 1924 und wählt für seine Persönlichkeitsskizze zehn Tage, die Hofmannsthal im heute verfallenen Höhenkurort Bad Fusch verbringt. Hier in Fusch hatte Hofmannsthal einige Kindersommer verbracht, hier wurden bedeutsame Gespräche mit dem Vater geführt, hier war ihm der Abschluss großer Werke gelungen. Noch einmal soll nun dieser Ort die Stimmung aufrufen, um begonnene Werke zu vollenden und endlich wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Hofmannsthal, eben 50 Jahre alt geworden, sieht und weiß sich an einem Scheitelpunkt seines Lebens: Die literarischen Erfolge liegen in der Vergangenheit, wichtige Freundschaften sind zerbrochen, die Zahl der abgebrochenen oder gescheiterten Arbeiten wächst - und mit ihr die Verunsicherungen und Ängste. Das Ermüden eines Unzeitgemäßen Gegen die wachsenden Zudringlichkeiten der Gegenwart setzt Hofmannsthal die aristokratische Haltung einer versinkenden Welt. Doch die Unruhe wächst - schon ein einziger falscher Ton in einer Konversation, eine zur Unzeit auftauchende schmerzliche Erinnerung oder ein irritierendes Moment können das mühsam aufrechterhaltene Gleichgewicht stören. Mit den gekonnt eingesetzten Mitteln des klassischen Erzählens gelingt Kappacher hier ein unglaublich dichter Text. Aus der ruhigen Perspektive eines Erzählers, der wie eine Hofmannsthalsche Dienergestalt diskret an der Seite seiner Herrschaft verweilt, führt er uns ein Stück Leben vor, in dem die Landschaft, die Szenerie, die Gedanken des Helden und die äußeren Ereignisse wie selbstverständlich ineinanderfließen. "Und drei sind eins - ein Ding, ein Traum, ein Leben." Dieses in einer Terzine zum Ausdruck gebrachte Weltverständnis Hofmannsthals findet in Kappachers literarischer Form entsprechende Umsetzung - der ganze Warnehmungs- und Bewusstseinsstrom gleitet und droht zu zerrinnen. Während Hofmannsthal zusehends seine Bezüge zur realen Welt verliert, lässt ihn Kappacher immer stärker in seine Erinnerungen und die Begegnung mit den literarischen Figuren seiner Werke versinken. Diese meisterhaften inneren Monologe und fiktiven Dialoge gehören mit zu den stärksten Facetten dieses Buches. Von Ängsten gedrängt und getrieben Müdigkeit liegt über dem Ort, eine kränkelnd-kapriziöse Adelige kreuzt Hofmannsthals Weg, das Wetter drückt die Stimmung, von Hilfesuchenden fühlt er sich bedrängt. In diesem sozialen und landschaftlichen Mikrokosmos spiegelt Kappacher das Wesen seines Helden. Gelegentlich fällt in Bad Fusch der Strom aus, den Bewusstseinsströmen Hofmannsthals geht es nicht anders, Schwindelanfälle zeigen die Überreiztheit von Körper und Seele. Und dann sind da noch die beängstigenden Wahrnehmungen von Todesanzeigen, Unfällen und die Erinnerung an den Tod des Vaters. Mit mühsamer Anstrengung werden die Gefühle der Vergänglichkeit und die Ängste des Vergessenwerdens unterdrückt. In bezwingender Form zeigt Kappacher im Fliegenpalast einen Künstler, der in die falsche Zeit geraten ist und mit dem Ende der Epoche sein eigenes heranziehen spürt. All das vermag Kappacher ohne psychologisierende Deutungen zu sagen. Ein großer Text.
Personen: Kappacher, Walter
Kappacher, Walter:
Der Fliegenpalast. - 11. Auflage. - Salzburg : Residenz Verlag, 2009. - 171 Seiten
ISBN 9783701715107 Festeinband : EUR 17,90 (AT)
Belletristik für Erwachsene - Signatur: DR KAPP - Buch Dichtung