Geschlechteridentität im Spiel und in der Realität. (DR) Wenn der Vater, den er nicht kennen gelernt hat, homosexuell ist, der Großvater am Theater in Frauenrollen brilliert, die Cousine lesbisch und die Mutter wiederum etwas verklemmt ist - was wird dann aus dem Sohn? Im Falle des Schriftstellers Billy Abbot, in den 1940er Jahren in Neuengland geboren, wird er Bisexueller, was ihn auch den Homosexuellen verdächtig erscheinen lässt. Über seinen Stiefvater, Lehrer und Dramaturg der Laien-Schauspieltruppe vor Ort, erhält er tiefe Einblicke in Schauspiel und Verwandlungsmöglichkeiten. Hier wird auf der Bühne anhand von Literatur vorgespielt und ausprobiert, was die Gesellschaft sonst kaum zulässt. Literarisch und sexuell prägend ist die Bibliothekarin Miss Frost, deren Geschlecht ihm erst nach ihrer ersten sexuellen Begegnung klar wird. Jedenfalls ist sie, ein ehemaliger guter Ringer, eine bedeutsame Figur. Und zwar sowohl für Billys Entscheidung, Schriftsteller zu werden, als auch für seine sexuelle Orientierung. Einige Zeit begleitet ihn der BH einer Mitschülerin, die, ebenfalls bisexuell und Schriftstellerin, ihm bis ins Alter immer wieder eine Lebensabschnittspartnerin sein wird. So wird der junge Abbot von einigen Menschen in seiner Umgebung geleitet in seiner nicht unkomplizierten Geschlechteridentität, ja beschützt, bis er schließlich seine Geschlechtsrollen in wechselnden Beziehungen recht toleriert für sich leben kann. Der Roman führt durch die Aids-Epidemie der 1980er und 1990er, die Billy selbst unbeschadet übersteht. In diesen Kapiteln finden sich die eindrucksvollsten Leidensschilderungen und berührendsten Szenen des Romans. Trotz einer Fülle an Personen und Geschichten kreist der Roman immer wieder um die gleichen Gedanken und Obsessionen, bleiben manche Figuren leider ziemlich blass und thesenhaft. Unglaubwürdig u.a. die Darstellung der übersexualisierten Welt einer Schule in den 1950erJahren. - Leider ein schwächerer Irving, der seine Erzählkunst, Erfindungsgabe und das Gespür für große Themen nur teilweise vorzeigt. Ringkampf, Bären und Wien spielen natürlich wieder eine Rolle.
Personen: Irving, John Herzog, Hans M. Arz, Astrid
Irving, John:
In einer Person : Roman / John Irving. Aus dem Amerikan. von Hans M. Herzog und Astrid Arz. - Zürich : Diogenes-Verl., 2012. - 725 S.
ISBN 978-3-257-06838-2 fest geb. : ca. € 25,60
Belletristik für Erwachsene - Signatur: DR IRVI - Buch Dichtung