Bonaventura (1217-1274) gehört mit Thomas von Aquin (1224-1274) zu den kreativsten und einflussreichsten Theologen des (Hoch-)Mittelalters, deren Systematik und Denkform bis in die unmittelbare Gegenwart Schule macht und - in Anknüpfung und Widerspruch - zum Weiterdenken bewegt. Das "Breviloquium", ein Kompendium der christlichen Lehre aus dem Jahr 1256, hat Bonaventura aus einem Anlass verfasst, auf den er in § 7 seiner Einleitung zu sprechen kommt: Die christliche Lehre werde in den einzelnen Schriften "so verstreut dargeboten, dass die Anfänger unter den Hörern der [Wissenschaft von der] Heiligen Schrift sie lange Zeit nicht zu Gesicht und zu Gehör bekommen - weswegen die jungen Theologen häufig vor dem Studium der Hl. Schrift zurückschrecken, so als handle es sich da um etwas Ungewisses, ohne rechte Ordnung, gleichsam um einen düsteren Wald. Deswegen habe ich den Fragen und Bitten von Gefährten, ich solle aus meinem bisschen Wissen etwas kurz und zusammenfassend über die theologische Wahrheit sagen, nachgegeben und mich bereit erklärt, ein ,Kurzes Wort' (breviloquium) zu verfassen" (40). Nun, so "brevis" ist dieses loquium zwar nicht ausgefallen, aber es entfaltet in sieben Teilen einen kompakten Aufriss der christlichen Glaubenslehre, wie sie eben ein Schulmeister des 13. Jahrhunderts darbot: Über die Dreifaltigkeit, die Erschaffung der Welt, die Verderbnis der Sünde, die Menschwerdung des Wortes, die Gnade des Heiligen Geistes, das Heilmittel der Sakramente und das Endgericht. Das Werk mündet in eine Betrachtung der Vollendung des Menschen in Gott, der die vollkommene Freude schenkt (vgl. 318). Bonaventura geht davon aus, dass "die Theologie eine einzige Wissenschaft ist, mag sie auch von derart vielen und so verschiedenartigen Gegenständen handeln" (47). Theologie handelt von Gott, der "in höchstem Maße Mitteilung" (49) ist; sie erweist sich als "sapientia", als "sapida scientia" ("wohlschmeckendes Wissen": III Sent. dist. 35 q. 1 [47, Anm. 24]) - was in wissenschaftsdidaktischer Hinsicht die Konsequenz nach sich zieht, dass Bonaventura weniger "die literarische Gattung einer Disputation, als vielmehr Mahnungen, Gebote, Erzählungen, Verheißungen" (M. Schlosser, 14) heranzieht und so eine gewisse Differenz zur "Summa" des Thomas von Aquin markiert. Nichtsdestoweniger geht es Bonaventura um die "ratio" des Glaubens, um seine innere Stimmigkeit, was durch einen ausgeprägten Bezug zur "Ordnung" und zum "Ersten Ursprung", der Gott ist, zum Ausdruck kommt: "Das ganze Schöpfungswerk entspricht der Ordnung der göttlichen Weisheit, und es entspricht der Heiligen Schrift, die ein erhabenes Wissen enthält" (92). Gewiss eignet sich dieser "theologische Grundkurs" aus dem Hochmittelalter nicht dazu, als Zitatensteinbruch oder als vorgeschobene Autorität für Anliegen des 21. Jahrhunderts verwendet zu werden. Die Tatsache allerdings, dass dieses Werk auch nach einem Dreivierteljahrtausend noch aufgelegt und nachgedruckt wird (die vorliegende Übersetzung beruht auf dem V. Band der Opera omnia aus dem Jahr 1891 [vgl. 16], spricht für eine Wirkungsgeschichte, die nicht viele theologische Entwürfe für sich in Anspruch nehmen können. Nicht zuletzt kann gerade die fremde - und durchaus auch manchmal befremdliche - Theo-Logik dieses "Breviloquiums" dazu anleiten, eigene Plausibilitäten und Denkmuster in einen größeren Horizont zu stellen und wieder neu zu lernen, mit diversen und kontroversen Paradigmen und "Grammatiken" der Theologie umzugehen.
Serie / Reihe: Christliche Meister 52
Personen: Schlosser, Marianne Bonaventura
Standort: HB W I
KG 03 Bonav
Bonaventura ¬[Verfasser]:
Breviloquium / Bonaventura ; übertragen, eingeleitet und mit einem Glossar versehen von Marianne Schlosser. - Einsiedeln : Johannes, 2002. - 326 Seiten. - (Christliche Meister; 52)
Einheitssacht.: Breviloquium
ISBN 978-3-89411-373-5 . Broschur
Patristik - Buch