Die Globalisierung ist ein höchst vielschichtiges und ambivalentes Phänomen. Sie tritt seit dem Ende der Ost-West-Aufteilung in einer neuen Intensität auf und ist insbesondere in Gestalt des Weltmarktes zu einer bestimmenden Größe unserer Gesellschaft geworden. Diese globalisierte Wirtschaft prägt, ja bestimmt weitreichend die Nationalökonomie, die Rüstungs- und Kriegsentscheidungen, die Produktions-, Sozial- und Umweltbedingungen, die monetäre Konzentration und damit sowohl den steigenden Reichtum als auch die steigende Armut. Die damit verbundenen globalen wirtschaftlichen und politischen Prozesse zeigen deutlich ihre Schattenseiten: von einseitigem und kurzsichtigem Ressourcenverbrauch bis hin zum enormen Ausmaß von Spekulationsgeschäften samt ihrer Bedrohung der sozialen Sicherheit und der Entwicklungsperspektiven ganzer Regionen. Die globalisierte Welt braucht daher eine Steuerung der ökonomischen Vorgänge und damit einhergehend der politischen Prozesse. Der Christliche Sozialethiker Büchele unterbreitet mit dem Buch "Global Governance" seinen im Kontext der Global Marshall Plan Initiative entstandenen Vorschlag, eine Global-Governance-Architektur aufzubauen. Zunächst beschreibt der Autor die globalisierte Welt als "vier Welten" (9-12). Die Differenz bestehe im "Macht- und Wohlstandsgefälle zwischen den Staaten". Diese reiche von einer "symmetrischen Interdependenz" der Länder der ersten Welt mit einer jeweils relativ stabilen Macht bis hin zur "asymmetrischen Interdependenz" der vierten Welt, die durch den Zusammenbruch der sozialen Infrastruktur und öffentlichen Ordnung sowie folglich durch hohe Abhängigkeit von anderen Staaten geprägt sei. "Der Prozess der Einswerdung der Menschheit durch Globalisierung und Internationalisierung produziert - durch Tendenzen der Regionalisierung, Individualisierung, Desintegration - zugleich eine Fragmentierung, Spaltung der Menschheit." (12) In dieser uneinheitlichen Welt spiele derzeit die USA als Hegemon eine entscheidende Rolle. Allerdings seien die USA nicht bereit, "einem System globaler, geteilter Souveränität zuzustimmen, geschweige es zu initiieren. Sie werden gezwungen, zwei unvereinbare Dinge zu verbinden: die nationalen Interessen vorrangig zu setzen, und dieses Verfolgen nationaler Interessen als das universal Gültige und zu Erstrebende ausgeben zu müssen" (27). Den Weg zu einer gerechten, friedlichen und schöpfungsgerechten Weltordnung sieht Büchele entgegen der USA-Dominanz in einer Hegemonialpolitik mit dem Ziel einer kooperativen, multipolaren Weltordnung. Diese würde partikuläre nationale Eigeninteressen nicht kurzschlüssig mit dem Wohl der gesamten Welt gleichsetzen und wäre daran interessiert, dass Regionen eigene Entwicklungspfade beschreiten. "Sie verfolgt ihre nationalen Interessen, lässt aber den Rest der Welt sich in eine Richtung entwickeln, wie er es für gut erachtet. Gleichzeitig sind der Kampf und die Auseinandersetzung um das ‚gemeinsame Gute' von einer globalen Perspektive bestimmt - dem Überleben der Menschheit und dem Wohl des Weltganzen." (28) Wie ist das denkbar? Büchele plädiert für eine globale Governance ohne Weltstaat. Er denkt an die Gründung eines neuen Typs von Gemeinwesen, eine globale Allianz der Demokratien nach dem Modell der Europäischen Union. Es sei ein Prozess zu initiieren, der auf einen Global Contract abziele: Die Einzelstaaten geben wesentliche politische Machtkompetenzen an eine kontinentweite bzw. weltweite Autorität ab. (48) Dabei ist allerdings nicht an die Weiterentwicklung der UNO gedacht; der Verbesserung der UNO misstraut Büchele, weil sie auf der Fiktion der nationalstaatlichen Souveränität und der Fiktion der Gleichwertigkeit der Staaten aufbaue. Auch andere internationale Institutionen, wie beispielsweise die mächtige Welthandelsorganisation, seien zu durchsetzungsschwach, "auch finanziell zu abhängig, um die globalen Gemeinwohlinteressen gegen die Sonderinteressen der großen Wirtschaftsmächte und Regionen durchsetzen zu können." (35) Der Weg zu einer gerechten Global Governance wird als komplexer Prozess entworfen. Die Global-Governance-Architektur, der Global Contract, setze einen Sozialisationsprozess voraus, "der ein kontinent- und weltweites Wir-Gefühl zum Ziel hat" (69), sowie die Politikfähigkeit im Sinne des Primats der Politik vor der Ökonomie, der demokratischen Beteiligung und ein funktionierendes Rechtssystem. Politik dürfe nicht als technokratische Durchsetzung von Zielvorgaben im Hinblick auf die nächsten Wahlen verstanden werden (dies führe zu unerwünschten Ergebnissen) und müsse demokratisch gefasste Zielvorgaben als Orientierungs- und Mobilisierungsfaktor erkennen. Der Schlüssel sei die Etablierung eines "globalen Macht-Gewaltmonopols" (45), dieses sei die Bedingung für eine globale Friedensordnung und in der Folge für gerechte Strukturen. Voraussetzung dafür sei der globale Wille "zu einer gemeinsamen Freiheit, einer Ordnung des Wir-Alle." (28) Anschließend zählt Büchele Handlungsfelder des ökosozialen Umbaus (55-56) der Gesellschaftssysteme auf und stellt seine konkreten Vorstellungen für einen politischen Umbau (56-60) vor: "Demokratie am Ort und in der kleinen Region", föderale Nationalstaaten, die "Gründung Kontinent" gemäß des Ansatzes der EU und die "weltweite Allianz der Demokratien". Büchele nimmt sich in seiner Arbeit der vermutlich größten politischen Herausforderung an, nämlich der Frage, wie die Weltordnung gerecht, friedlich und demokratisch gestaltet werden kann und die Politik ihre Vorrangstellung gegenüber der Wirtschaft wiedergewinnt. Dass er dabei innovativ an eine Allianz von Staaten denkt und die Voraussetzungen sowie die positiven Veränderungen der Einstellungen im Rahmen des Prozesses der Etablierung betont, macht den Beitrag in besonderer Weise wertvoll. Allerdings wirkt das Buch mitunter etwas unsystematisch aufgebaut, die Abschnitte sind häufig zu wenig explizit aufeinander bezogen oder vernetzt. Beispielsweise besteht das Kapitel 7 im Grunde aus lauter Fragen, ohne einzuführen, welche Funktion diese Fragen haben. Zudem wäre eine genauere Definition und theoretische Darlegung der Schlüsselbegriffe, wie etwa Global Governance oder Global Contract wünschenswert. Sicherlich: Einige Hintergrundargumente und -informationen kann man aus anderen Publikationen des Autors gewinnen. Ein Verweis darauf aber würde die Auseinandersetzung erleichtern und die Diskussion deutlich vertiefen. Dieses Buch hat über weite Strecken den werbenden Grundton einer Progammatik für die Global Marshall Plan-Initiative. Wohl deshalb verzichtet der Autor häufig auf genauere Begründungen. So wird nicht recht klar, warum eine weiterentwickelte, mit neuen Kompetenzen versehene UNO unwahrscheinlicher und untauglicher wäre als die vorgeschlagene Governance-Konzeption mit einer Stärkung der Demokratien, einer Allianz der Demokratien und globaler Sozialpartnerschaft, bzw. warum die Einbindung einer weiterentwickelten UNO für die Etablierung eines Global Contracts weniger Erfolg versprechend sei als die vorgeschlagenen Prozesse. Büchele setzt auf eine Änderung der Politik in gut demokratischem Sinne: einem Umdenken der Völker, dem gemeinsamen Lernen von (global verantworteter) Demokratie, der Vielfalt der möglichen Entwicklungswege von unterschiedlichen Ländern, dem Entdecken eines Wir-Bewusstseins als Menschheit. Das mobilisierende und motivierende Potenzial spricht für sich; das Bedürfnis nach einer gerechteren, demokratischeren, friedlicheren Welt und insbesondere der Gestaltung der Weltökonomie ist drängend und weit verbreitet; die Möglichkeiten der Bewusstseinsbildung und politischen Mitgestaltung der Global Marshall Plan-Initiativen, vor allem auf lokaler Ebene sollen nicht unterschätzt werden. Allerdings wirft das Buch mehr Fragen auf; so zustimmungsfähig die zentralen Anliegen sind, so wenig wird im Detail klar, wie diese realpolitisch verwirklicht werden können. Damit hat Büchele aber wohl das Ziel seines Buches erreicht: Er ist sich der Fragen und offenen Diskussionspunkte bewusst; auf den Diskussionsbedarf vieler Teilfragen weist er explizit hin. Seinem Anliegen, dass seine Ideen umfassend diskutiert werden, ist in jedem Fall Erfolg zu wünschen. Denn die drängende Herausforderung, Politik auf eine gerechte und friedliche Zukunft der gesamten Welt hin zu denken und zu gestalten, bedarf der gemeinsamen Suche nach tauglichen Wegen und des Engagements.
Serie / Reihe: Beiträge zur mimetischen Theorie 23
Personen: Büchele, Herwig
Standort: Aula L W I
Ig 02.2.2.2 Büche
Büchele, Herwig ¬[Verfasser]:
Global Governance : eine Herausforderung der Global Marshall Plan Initiative / Herwig Büchele. - Münster : LIT, 2007. - 110 Seiten. - (Beiträge zur mimetischen Theorie; 23)
Einheitssacht.: Global Governance
ISBN 978-3-8258-0989-8 Broschur
Österreichische Jesuiten (Autoren) - Buch