Nicht zum ersten Mal werden im deutschen Sprachraum die religiösen Wurzeln des Nationalsozialismus thematisiert. In der Theol.-prakt. Quartalschrift veröffentlichte Rudolf Zinnhobler bereits 1979 einen Artikel zu diesem Thema. Aus dem letzten Dezennium seien an Veröffentlichungen genannt: Michael Hesemann "Hitlers Religion" (2004), Anton Grabner-Haider "Hitlers mythische Religion" (Böhlau, 2007) und zuletzt: Rainer Bucher "Hitlers Theologie" (Echter, 2008). Grabner-Haiders soeben vorgelegtes Buch "Hitlers Theologie des Todes" ist im Grunde eine gekürzte Ausgabe seines 2007 verfassten Werks, das nun als Taschenbuch in der Topos-Reihe erschienen ist. Der Autor will zeigen, dass die nationalsozialistische Ideologie nicht 1933 vom Himmel gefallen ist. Sie speist sich aus philosophischen und theologischen Denklinien, die sich vom 19. ins 20. Jahrhundert ziehen und stark von der Ablehnung der Aufklärung, des Liberalismus, der Demokratie, des Individualismus, des Sozialismus und gegen das Judentum geprägt sind. In sieben Zugängen argumentiert der Autor das - unumstrittene - Faktum von den theologischen und philosophischen Wurzeln des Nationalsozialismus. In einem ersten Zugang wird Adolf Hitlers Gottesbegriff nachgegangen: Gott steht für das Unbegreifliche, für jenen Absoluten, den man nicht zerstören dürfe, der aber von der Kirche in Dogmen und Heuchelei erstickt wurde. Die neue Volksbewegung des Nationalsozialismus wolle - so Hitler - der Erhaltung des göttlichen Werkes dienen. Hitler selbst sah sich "vom Schicksal" (von der "Vorsehung", vom "Herrgott im Himmel") auserwählt, in "tiefster Gottgläubigkeit" der messianischen Erwählung, die auf das deutsche Volk übergegangen sei, zu entsprechen. Dieses Ziel könne nur mit bedingungslosem Glauben ("sola fide") an das nationalsozialistische Programm erreicht werden. Ein solches Exklusivverständnis beinhaltet "folgerichtig" die Vernichtung aller Feinde und den Krieg. Der nationalsozialistische Monopolanspruch auf die "einzige Wahrheit" sowie die Theorie des "gerechten Krieges" mussten nicht neu erfunden werden. Beide wurden von der Tradition des Christentums beigestellt. Schon seit Augustinus, seit der Zeit der Kreuzzüge und seit der Zeit der Konfessionskonflikte waren Christen mit solchen Ansprüchen vertraut. Nur mit einer lang tradierten Mythologie des Krieges ist es - so Grabner-Haider - erklärbar, warum so viele Menschen in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts ohne Widerstand dieser Todesmythologie gefolgt sind. Eine für die monotheistischen Religionen typische "Erstschlagsdoktrin" zur Verteidigung des Glaubens ermächtigte auch A. Hitler, den Krieg gegen die Sowjetunion zu beginnen. Für Grabner-Haider wurzelt dieser Gehorsam letztlich im jüdischen/christlichen/islamischen Gottesbild, einem Kriegs- und Rachegott, der keine anderen Götter neben sich dulde und unbedingten Gehorsam verlange. So wie sich die Kirche zur Verfolgung der "Häretiker" in der Zeit des frühen oder mittelalterlichen Christentums (Gnostiker, Monophysiten, Arianer, später die Juden, die Hexen) legitimiert sah, so folgte das Vorgehen Hitlers gegen die Bolschewisten, Juden, Zigeuner und alle Rassenfremden einem umfassenden göttlichen Willen. In religionsgeschichtlicher Hinsicht ist die These vom Absolutheitsanspruch des christlichen Gottes als Folge einer von den Jerusalemer Tempelpriestern durchgesetzten Monopolstellung JHWHs durchaus von Interesse (Vgl. Jan Assmann), bibeltheologisch greift dieses Kapitel zu kurz und bleibt zu undifferenziert. Auch große Philosophen müssen als Wegbereiter nationalsozialistischer Ideologie gelten. Der Autor spannt einen Bogen von Platon, Niccoló Machiavelli, Thomas Hobbes, Friedrich Wilhelm Schelling, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche bis zu Max Scheler. Aber auch jüngere Philosophen wie Ernst Jünger, Ernst Krieck, Alfred Baeumler schätzten humanistisches, positivistisches Denken gering. Auch Martin Heidegger, auf den der Autor ausführlicher eingeht, habe den Schrecken der Moderne nicht ertragen können. Er habe mit seiner Antiphilosophie alles Vernunftgeschehen abgewertet und damit eine Grundrichtung ähnlich der NS-Ideologie eingeschlagen. Da heute ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts gesehen wird, führt Grabner-Haider eine Reihe von Theologen und Philosophen des beginnenden 20. Jahrhunderts an, die zur ideologischen Aufrüstung des Krieges und zur Entwicklung der nationalsozialistischen Ideologie beitrugen. Der Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken hatte schon 1914 argumentiert, der Krieg verfolge edle Zwecke und sei ein "heiliger Krieg". Der deutsche Geist sei jetzt reif geworden, die Welt zu gestalten. Der Philosoph Ernst Troeltsch proklamierte - wie so viele im Ersten Weltkrieg - den göttlichen Segen für die deutschen Soldaten. Adolf von Harnack, der evangelische Theologe, sprach von der religiösen Verklärung der Opfer, des Blutes und der Tränen, welche ihnen die Schau auf das Ewige ermögliche. Die Philosophen Rudolf Borchardt, Paul Natorp und Georg Simmel betrachteten den Krieg als "Krisis", der die Schäden moderner Zivilisation beseitige, die Individuen wieder zu einem Volk vereine und das alte, christliche und germanische Erbe verteidige. Auch der katholische Theologe Joseph Mausbach betonte die positive moralische Wirkung des Zweiten Weltkrieges. Echte Liebe müsse auch weh tun und strafen, versagen und verwunden. Damit wurde der Krieg in seinen Augen zum gottgewollten "Kreuzzug" gegen die Unmoral der Feinde. Unter den evangelischen Theologen waren vor allem Gerhard Kittel, Paul Althaus und Emanuel Hirsch überzeugt, dass die Politik des Dritten Reiches ein "göttliches Wunder" sei und das deutsche Volk unter dem "Hammer Gottes" zu hartem Eisen geschmiedet werde. Was die Theologen argumentativ entwickelten, wurde in den Reden und Predigten der Feldgeistlichen des Ersten Weltkriegs rezipiert. Daran konnten A. Hitler und die NS-Kriegsstrategen anknüpfen. Die deutsche Philosophie und Theologie hatte damit - so der Autor - ihre moralische Unschuld verloren und ist - erneut der Autor - in eine "Ideologie des Tötens" übergegangen, ohne es zu merken. Die genuine Entwicklung des NS-Regimes war die Umsetzung der Ideologie des Todes mit höchster technischer Effizienz und damit die industriell organisierte Auslöschung von Millionen von Mitmenschen. Sogar die Programme des "guten Todes" (Euthanasie) wurden von einigen Theologen gebilligt. Wenige (Clemens A. v. Galen) traten offen dagegen auf. Viele "Mitwirkende" - z. B. Soldaten - fügten sich in die "Theologie" vom Tod für Führer, Volk und Vaterland. Anderen, vor allem den KZ-Opfern, ist in dieser Zeit wohl jeder Glaube an Gott zerbrochen. Zu der auch künftig ausstehenden Bewältigung des Holocausts postuliert Grabner-Haider fortgesetzte Trauer- und Erinnerungsarbeit, um eine neue Theologie des Lebens, die das zweite Vatikanische Konzil formuliert habe, zu stärken und zu stabilisieren. Auch die Kirchen haben inzwischen ihre Mitschuld eingestanden. Toleranz der Kulturen und Religionen könnten - so der Autor - beitragen, die Gewaltpotenziale der monotheistischen Religionen zu reduzieren und so nach dem Vorbild von Hans Küngs "Projekt Weltethos" eine noch junge Theologie des Lebens in Europa verwurzeln. Grabner-Haider schließt das Buch mit seinen eigenen Kindheitserinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit.
Serie / Reihe: topos Taschenbücher
Personen: Grabner-Haider, Anton
Standort: HB W I
Gesch 04.4 Grabn
Grabner-Haider, Anton [Verfasser]:
Hitlers Theologie des Todes / Anton Grabner-Haider. - Kevelaer : Lahn-Verlag, 2009. - 175 Seiten. - (topos Taschenbücher)
ISBN 978-3-8367-0682-7 Broschur
Hitler - Buch