Kürzer als der Autor selber formuliert, kann die Grundaussage des vorliegenden Werkes kaum mitgeteilt werden: Der Titel ist nämlich seine Antwort auf die christologische Grundfrage nach Jesus Christus. Was allerdings wie eine nicht mehr zu überbietende Redundanz klingt, ist Ergebnis eines 600-seitigen Diskurses der christologischen Baustellen einst und jetzt. Was ist das Neue an Menkes Christologie? Einmal seine Definition der christologischen Herausforderung heute: Sie besteht nicht mehr - wie noch zum Großteil für den mainstream der Nachkonziliarstheologie - in der Rückfrage nach dem historischen Jesus und ihrer Vermittlung mit dem kirchlichen Dogma oder dem Verständnishorizont der Moderne, auch nicht mehr in der von der Politischen Theologie und der Befreiungstheologie angemahnten "Christo-Praxis" (E. Arens), sondern in der besonders von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. eingeschärften Gefahr des Relativismus, dass Jesus nur noch als einer unter vielen gleichberechtigten Heilsvermittlern und nicht mehr als Gott der Sohn selbst gesehen wird. Das erklärt zweitens die hermeneutische Stoßrichtung des Autors, den christologischen Bekenntnisweg nicht mehr von der Historie zum Dogma hin abzuschreiten, sondern umgekehrt wieder vom Dogma ausgehend zur Geschichte bzw. zum kanonischen Bekenntnis zurück vorzudringen (29ff.). Das christologische Dogma Chalzedons ist für den Verfasser darum konsequenterweise keine dem neutestamentlichen Zeugnis gegenüber neue oder gar fremde Bestimmung, sondern seine in unverzichtbar metaphysischer Sprache artikulierte Wahrheit, wie sie im ältesten Evangelium schon im Mund des römischen Hauptmanns bekannt wurde: "Wahrhaft, das war Gottes Sohn!" (Mk 15,39) Die Struktur des Werkes orientiert sich am Bild eines Gebäudes: Der erste, drei Kapitel umfassende Teil ("Fundament - die biblischen und die griechischen Denkformen der Christologie", 23-281) legt den Ausgangspunkt und die originären Denk- und Bekenntnisformen der Christologie dar, der sechs Kapitel umfassende zweite Teil ("Die Baustelle - Brennpunkte der jüngeren Christologie", 283-526) führt durch zentrale neuzeitliche Problemstellungen hindurch. Menke arbeitet in Auseinandersetzung mit diesen Paradigmen seine christologische Position heraus, und zwar entlang folgender Oppositionen: Wäre Jesus nicht der (präexistente) Sohn von Anfang an, hätte er nicht den Tod überwinden können. Denn die ganze Christologie hängt davon ab, "dass Jesus auch im Erleiden des physischen Todes in Beziehung bleibt zu seinem Vater; dass also der Vater nicht exklusiv an ihm ohne ihn, sondern mit ihm handelt" (60). Ist Jesus nicht die innertrinitarische Person von Ewigkeit her, wäre er nicht wirklich die Selbstaussage Gottes: "Das Herz des Christentums aber liegt in dem Anspruch Jesu, als wahrer Mensch in Raum und Zeit dieselbe Beziehung zu dem als ‚Vater' bezeichneten Gott zu leben, die der innertrinitarische Sohn von Ewigkeit her ist. Jesu Beziehung ist wesentlich verschieden von jedem in geschöpfliche Worte oder Zeichen gekleideten Versuch, den Unaussprechlichen auszusprechen … Der Kern und die Mitte des christlichen Glaubens liegt in der hypostatischen (personalen) Union des Menschen Jesus mit dem innertrinitarischen Logos. Wenn diese Mitte aufgegeben wird, ist das Grunddogma der PRT [Pluralistischen Religionstheologie], dass alle mit dem Wort ‚Offenbarung' versehenen Geltungsansprüche gleich gültig sind, die logische Konsequenz" (444). Was vom Rezensenten auf den argumentativen Kern der Christologie Menkes fokussiert worden ist, soll den Blick natürlich nicht auf das "Gesamtgebäude" ersetzen. Menkes Anordnung und Darstellung des biblischen und dogmatischen Inhalts christologischer Themen und Modelle ist beeindruckend und lesenswert. Freilich wird eine gewisse Ausdauer und Vertrautheit mit der stark metatheoretisch gehaltenen Darstellung vorausgesetzt. Viele Kapitel sind eine ausgezeichnete Zusammenfassung verschiedenster christologischer Entwürfe, die allerdings unterschiedlich diskutiert und problematisiert werden. Menke versteht es zudem, Aspekte weit zurückliegender dogmengeschichtlicher Diskussionen auf ihre auch heute noch enthaltene christologische Brisanz sichtbar zu machen: Im zweiten Teil werden so wichtige Fragen wie "Der historische Jesus" - bloßer Mittler einer Idee oder eines Glaubens?; Jesus - wahrer Mensch ohne menschliches Selbstbewusstsein?; Jesus Christus - der Weg, die Wahrheit und das Leben für alle Menschen aller Zeiten?; Jesus Christus "Wiederholung" oder "Bestimmung" der Heilsgeschichte Israels? abgehandelt. Darum eignet sich das Buch auch als nützliches Lehrbuch für den Studienbetrieb. Menkes Buch wird der christologischen Diskussion einen neuen Schub verleihen. Vor allem unterstützt es die lehramtliche Sorge, die Grundlage des christlichen Glaubens gegenüber allen Relativierungen und Historisierungen, wie sie durch die modernen Philosophien und historisch-kritischen Methoden ausgelöst worden sind, klarzustellen. Das Verhältnis von Geschichte und Dogma wird nicht induktiv, kontextuell, sondern dialektisch beantwortet: Was das Dogma bekennt, ist das, was das NT über Jesus Christus sagt. Große christologische Entwürfe der letzten Jahrzehnte haben sich allerdings der Mühe unterzogen, die verzweigten Diskussionen der historisch-kritischen Rekonstruktion der Jesus-Gestalt nachzuzeichnen und deutlich gemacht, dass das christologische Bekenntnis nur im Plural formuliert werden kann, immer in historischer, kontextueller Vermittlung zu verorten und je vorläufig ist. Darum kann auch das Geheimnis der Menschwerdung Gottes nie vollständig artikuliert werden. Die christologische Herausforderung heute auf die Relativismusfrage allein zu fokussieren, ist für den Rezensenten allerdings eine überzogene Sorge. So sehr Chalzedon als christologisches Paradigma seinen Stellenwert behält, die bloße Rückkehr zur klassischen metaphysischen Begründung der Christologie kann nicht die Lösung für die Herausforderung des Pluralismus, sondern nur sein paradigmatischer Ausgangspunkt sein. Hier ist m.E. das transzendentalphilosophische und -pragmatische Potenzial für eine gegenwärtige Christologie noch nicht ausgeschöpft. Menke hat jedenfalls diese Problematik aufgenommen und ihr eine klare und zur Diskussion einladende Antwort gegeben.
Personen: Menke, Karl-Heinz
Standort: HB W I
Th 10.1 Menke
Menke, Karl-Heinz ¬[Verfasser]:
Jesus ist Gott der Sohn : Denkformen und Brennpunkte der Christologie / Karl-Heinz Menke. - Regensburg : Friedrich Pustet, 2008. - 592 Seiten
Einheitssacht.: Jesus ist Gott der Sohn
ISBN 978-3-7917-2115-6 Gewebe
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