Religion erzeugt Gewalt - Einspruch! Innsbrucker Forschungsprojekt : "Religion - Gewalt - Kommunikation - Weltordnung"
Buch

Die gemeinsame Arbeit am Forschungsprogramm "Religion - Gewalt - Kommunikation - Weltordnung" an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck kommt im vorliegenden Band auf eindrückliche Weise zur Geltung. In vier gemeinsamen Texten, die bereits in theologischen Zeitschriften veröffentlicht wurden, in Kommentaren und weiteren Beiträgen wird eine Antwort gesucht auf den Vorwurf, die monotheistischen Religionen seien im Wesentlichen für die (religiös motivierte) Gewalt der jüngeren Zeit verantwortlich. Demgegenüber vertreten Raymund Schwager und Józef Niewiadomski in ihrer Einführung (9-38) die Position: "Das intellektuelle Dogma des ‚unverdaulichen Monotheismus' und des ‚bekömmlichen Polytheismus' muss einer Revision unterzogen werden" (13). Der erste gemeinsame Text (Dramatische Theologie als Forschungsprogramm [40-77]) formuliert als Grundthese: "Ein tiefer, echter und dauerhafter Friede zwischen Menschen, der nicht auf Opferung Dritter aufgebaut ist und ohne Polarisierung auf Feinde auskommt, ist sehr schwer erreichbar, ja übersteigt menschliche Kräfte. Wenn er dennoch Wirklichkeit wird, ist dies ein klares Zeichen, dass Gott selber (der Hl. Geist) in den Menschen am Wirken ist. Diese inkarnatorische Logik ist sowohl an der biblischen Botschaft als auch an den zahlreichen ekklesialen ,Zeichen der Zeit' in der menschlichen Geschichte ablesbar" (64). Entsprechend dieser Sicht verdeutlicht Willibald Sandler in seiner Auseinandersetzung mit dem Friedensgebet der Religionen in Assisi (78-97), "dass die Erschließung der christlichen Offenbarung in einem dramatischen heilsgeschichtlichen Prozess erfolgte, in dem die Botschaft vom wahren, (friedlichen!) Gott sich nur gegen mannigfache Widerstände und Missverständnisse der Menschen behaupten konnte" (83). Der zweite gemeinsame Text (Pluralismus - ethische Grundintuition - Kirche [100-142]) arbeitet - auf dem Hintergrund der mimetischen Theorie René Girards - die "Perspektivenumkehr" (120) der biblischen Texte heraus, welche die Erfahrung von Gewalt aus der Sicht der Opfer formulieren, "während in mythischen Texten der Sündenbockmechanismus aus der Sicht der Verfolger dargestellt wird" (ebd.). Die Christen verstanden sich in ihren Gemeinschaften von Anfang an als ",Kontrastgesellschaften' zu ihrer vom Sündenbockdenken strukturierten heidnischen Umgebung" (133) und feierten den Grund und Ursprung ihres neuen Lebens in der Eucharistie (vgl. ebd.). Nikolaus Wandinger zeigt in seinem Kommentar zu den kirchlichen Vergebungsbitten vom Ersten Fastensonntag 2000 (143-179) den Schuld- und Verantwortungszusammenhang auf, in dem gerade auch Christen stehen. Durch diese raum- und zeitübergreifende Kontinuität des kirchlichen Selbstverständnisses wird deutlich, dass die "diachrone Identität der gesamten Menschheit wesentlich tiefer ist, als es die moderne Gesellschaft gerne wahrhaben will" (178). Der dritte gemeinsame Text (Der 11. September 2001 und die Theologie der Zeichen der Zeit [182-196]) versucht, die authentischen Anliegen sowie die bleibenden Differenzen zwischen der westlichen Gesellschaft und den islamisch geprägten Ländern zu reflektieren und die "Frage der Gewalt" (195) offen und ehrlich anzusprechen. Der Beitrag von Dietmar Regensburger über die Zerstörung der "Twin Towers" (197-216) macht - gegen die gewohnten Klischees - auf die "irritierenden Nahtstellen" (210) der Politik und Wirtschaft zwischen islamischer und westlicher Welt aufmerksam, und Wolfgang Palaver weist in seiner Analyse des religiös motivierten Terrorismus (217-232) auf die dringende Notwendigkeit hin, Gewalt und Unrecht in der Welt aufzudecken, um "ein explosives Ansteigen von Rivalitäts- und Neidpotentialen" (220) im Ansatz zu verhindern. Im vierten gemeinsamen Text (Israel und Palästina. Hoffnung in hoffnungsloser Situation [234-252]) kommt - neben der politischen und kulturellen Dimension - der "Glaube an den einen Schöpfergott" (249) als tragfähige Grundlage "für die Überzeugung von der Universalität der Menschenrechte" (ebd.) zur Sprache. Entsprechend faszinierend und umstritten ist die Symbolik der "Stadt Jerusalem" für Judentum, Christentum und Islam, wie dies Andreas Vonach in seinem Beitrag (253-269) beleuchtet. Die vier Forschungstexte, ihre Kommentare sowie die weiteren Beiträge dieses Bandes (Matthias Scharer [272-286], Franz Weber [287-301], Herwig Büchele/Erich Kitzmüller [304-363] und Werner M. Ernst [364-379] tragen zum einen der Tatsache Rechnung, dass das Phänomen "Gewalt" häufig religiöse Züge trägt und scheinbar untrennbar mit religiösen Lebenswelten verbunden ist, zeigen zum anderen aber sehr klar auf, dass diese Gewalt nicht einfach von Religionen - speziell in ihrer monotheistischen Ausprägung - verursacht wird. Der "Einspruch" der Innsbrucker Forschungsgruppe ist keine simple Zurückweisung religionskritischer Anfragen, sondern eine differenzierte Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen, die in der jüngsten Vergangenheit die gesamte Weltöffentlichkeit bewegten. Auch wer die spezifischen Voraussetzungen und Implikationen der mimetischen Theorie Girards nicht (zur Gänze) teilt, wird in diesem Band viele wertvolle Anregungen finden. Vor allem aber sollte sich jeder selbst fragen, welche theologische Antwort er angesichts der realen Erfahrung von Gewalt und der biblischen Verheißung des Friedens - ohne "Opferung" und "Polarisierung" (vgl. die These dieses Buches, 64) - zu bieten hat.


Dieses Medium ist verfügbar.

Serie / Reihe: Beiträge zur mimetischen Theorie 15

Personen: Niewiadomski, Józef Schwager, Raymond

Standort: HB W I

Schlagwörter: Religion Gesellschaft Gewalt Konflikte

Interessenkreis: Religion

Rel 01 Schwa

Religion erzeugt Gewalt - Einspruch! : Innsbrucker Forschungsprojekt : "Religion - Gewalt - Kommunikation - Weltordnung" / Raymund Schwager, Józef Niewiadomski (Hrsg.). - Münster ; Hamburg ; London : Lit, 2003. - 379 Seiten. - (Beiträge zur mimetischen Theorie; 15)
Einheitssacht.: Religion erzeugt Gewalt - Einspruch!
ISBN 978-3-8258-6764-5 Broschur

Zugangsnummer: 2024/1514
Allgemein - Buch