Abenteuer- und Gegenwartsroman aus der amerikanischen Wildnis. (DR) Rückblickend erfährt man die Geschichte der Titelfigur Cloris aus zwei Erzählperspektiven: Cloris berichtet mit 20 Jahren Abstand vom Spätsommer 1986, als sie damals 72-jährig mit ihrem Mann und einem jungen Piloten mit dessen Cessna über den Bitterroot Mountains abgestürzt ist, wobei beide Männer das Unglück nicht überlebt haben. Diese Nacherzählung wird ständig unterbrochen durch die Gegenperspektive der Rangerin Lewis, die von jenem Notruf informiert wird, den Cloris zuletzt noch über das Funkgerät der zerschellten Maschine abgesetzt hat. 77 Tage lang kämpft Cloris in der Wildnis ums Überleben, indem sie entschlossen versucht, sich entlang eines Flusslaufs zu orientieren, um in die bewohnte Welt zurückzufinden. Unterwegs wird ihr immer wieder die eigenartige Hilfe - wie von einem Deus ex Machina - eines maskierten Mannes zuteil, der als Mädchenschänder vom FBI gesucht wird und in der Wildnis untergetaucht ist. Parallel dazu wird die Lebensgeschichte der Rangerin Lewis erzählt, die mit Unterstützung der "Search and Rescue Gruppe" versucht, die Überlebende zu finden. In einem Zusammenspiel von Cloris ausufernden, detailreichen biographischen Rückblenden mit den bizarren Dialogen des Ranger-Suchtrupps entsteht eine Bestandsaufnahme des weißen und konservativen Nachkriegs-Amerika jenseits der Küstenmetropolen: durchschnittliche Menschen, angepasste Lebensweisen, umgänglich und hilfsbereit, doch mit seelischen Abgründen, sexuellen Verirrungen und belastetem Gewissen. Der englische Romantitel lautet im Original "Kingdomtide", eine von Methodisten benannte Phase des Kirchenjahres vom Spätsommer bis zum ersten Advent, in der ein Christ Gutes in der Welt tun soll. Cloris findet nach dem traumatischen Absturz exakt in diesem Zeitraum ihren Weg zur Selbstermächtigung, der mit ihren Worten gleich auf der ersten Buchseite zitiert wird: "Es ist schon erstaunlich, dass eine Frau den Herbst ihres Lebens erreichen kann, nur um festzustellen, dass sie sich selbst bislang im Grunde gar nicht recht gekannt hat." Am Schluss kommt sie zur Erkenntnis, dass sie dem Tod, dem sie zwanzig Jahre zuvor nur knapp entkommen ist, in Frieden entgegensehen kann: "Ich habe mir abgewöhnt, allzu vorschnell über andere zu urteilen. Die Leute sind halt, wie sie sind, ich glaube, mehr gibt es dazu nicht zu sagen." Fazit: In diesem langatmigen Debütroman vermischen sich verschiedene Genres und Stile, indem in Erzählmustern von Nature Writing, Thriller, Abenteuerroman, Komödie und philosophischen Exkursen ein aktuelles gesellschaftliches wie soziales Sittenbild der Weißen in den USA erarbeitet wird.
Personen: Curtis, Rye Hartz, Cornelius
Cur
Curtis, Rye:
Cloris : Roman / Rye Curtis. Aus dem Engl. von Cornelius Hartz. - München : C.H. Beck, 2020. - 351 S.
ISBN 978-3-406-75535-4 fest geb. : ca. € 24,70
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