Borro-Rezension
Der plötzliche Todesfall eines Gemeinderatsmitgliedes erschüttert die ehrenwerte Gesellschaft eines englischen Städtchens bis in die Grundfesten.
Barry Fairbrother stirbt am Abend seines Hochzeitstages an einem Aneurysma und hinterlässt außer einer Frau und vier Kindern auch einen verwaisten Sitz im Gemeinderat des idyllischen Städtchens Pagford. Nach den ersten Beileidsbekundungen entbrennt unter den Gemeinderatsmitgliedern ein heftiger Kampf um die Nachfolge des Verstorbenen, denn Barry als ausgewiesener Gutmensch war ein Befürworter für den Verbleib der verhassten Sozialsiedlung Fields bei Pagford. Nun sieht die Fraktion um den schwergewichtigen Feinkostladenbesitzer Howard Mollison und dessen intriganter Frau Samantha die Stunde gekommen, deren Sohn Miles, einen angesehenen Anwalt, als willigen Kandidaten aufzustellen, um Fields und die angegliederte Drogenklinik vom Gemeindegrund zu entfernen. Doch auch andere angesehene Einwohner wollen ihr Süppchen kochen und kandidieren, allen voran Collin Walls, stellvertretender Schulleiter und Barrys bester Freund, der die Arbeit des vergötterten Freundes fortsetzen möchte. Dann tauchen auf der Website der Gemeinde böse Anschuldigungen gegen einige Kandidaten und Gemeinderatsmitglieder auf, da wird von Seitensprüngen, Machtmissbrauch und kleinkriminellen Machenschaften berichtet. Damit meldet sich die nächste Generation zu Wort, die Jugendlichen, die die Intrigen und Verfehlungen ihrer Eltern bloßstellen wollen. Doch auch sie haben Dreck am Stecken und am Ende, als etwas Schreckliches passiert, werden auch sie nicht ungeschoren davonkommen. - Die Messlatte liegt hoch für Joanne K. Rowling bei ihrem Genrewechsel und sie hat zumindest touchiert beim Überspringen. Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Komplexität und Vielschichtigkeit der Harry-Potter-Romane erreicht sie bei Weitem nicht, auch in literarischer Hinsicht. Man braucht anfangs ein wenig Geduld, um in den Pagfordschen Kosmos und die umfangreiche Schar seiner Bewohner einzudringen. Und die Charaktere wirken mitunter wie auf dem Reißbrett konstruiert, um auch dem letzten Leser noch die unterschwellige Verdorbenheit der gehobenen Gesellschaft exemplarisch vor Augen zu führen. Da gibt es etwa den prügelnden Familienvater mit dem wunderschönen Häuschen, die sich prostituierende Heroinsüchtige samt aufopferungsvoller Sozialarbeiterin sowie eine Reihe Jugendlicher, die die Fehler ihrer Eltern zwar bloßstellen, aber dennoch wiederholen. Da wird betrogen, intrigiert, gemobbt und gelitten, heimlich geliebt und begehrt und am Ende gibt es ein böses Erwachen für fast alle. Auch wenn Rowling nicht alle Klischees umschifft und einige Längen den Erzählfluss mitunter stören, insgesamt hat die Autorin der Harry-Potter-Romane einen durchaus unterhaltsamen, mitunter erhellenden und raffiniert konstruierten Roman vorgelegt, der sich nicht nur thematisch wohltuend aus dem belletristischen Einerlei von Krimis, Historienschinken und Befindlichkeitsliteratur heraushebt. Und damit natürlich in jeden Bestand gehört! (Übers.: Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol)
Personen: Rowling, Joanne K.
SL Rowli
Rowling, Joanne K.:
¬Ein¬ plötzlicher Todesfall : Roman / Joanne K. Rowling. - München : List, 2013. - 574 S.
ISBN 978-3-548-28528-3 kt. : 11,99 EUR
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