Wichtiger Diskussionsbeitrag zur Zukunft der Kirche durch Erneuerung auf allen Ebenen. "Kirche überlebt": im Titel des neuen Buches von Kardinal Marx spricht sich die Glaubensgewissheit eines Bischofs aus, der an dem Wort Jesu festhält, seine Kirche werde selbst von den Mächten der Unterwelt nicht überwältigt werden (vgl. Mt 16,18). Der Glaube, dass Christus seine Kirche nicht verlässt, "bedeutet aber nicht, dass wir nicht all unsere Kräfte, all unser Denken mobilisieren müssen, um auf die Herausforderungen der Zeit zu antworten und Kirche für die Menschen zu sein" (14), wie Kardinal Marx schreibt. Die massiven Kirchenaustrittszahlen sind nur zum Teil durch den Missbrauchsskandal und verschiedene Finanzaffären zu erklären, es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die katholische Kirche die Menschen von heute, die geprägt sind von einer offenen, pluralen Gesellschaft, in der Gott keine Rolle mehr zu haben scheint, wirklich erreichen kann, und das ist ja das Entscheidende: Kirche ist schließlich kein Selbstzweck, sie will nicht um ihrer selbst willen besonders groß und mächtig sein, sie hat vielmehr zur Aufgabe, dass möglichst "viele Menschen Christus finden, den Weg, die Wahrheit und das Leben" (15). Zwischen einer verängstigten Abschottung gegenüber der Welt und einer dem Zeitgeist hinterherlaufenden Verweltlichung steht für den Münchner Erzbischof der verantwortungsvolle Einsatz der Kirche für die Welt: das berühmte "Aggiornamento" von Papst Johannes XXIII. bemüht sich darum, die unveränderlichen Glaubensinhalte auf die Fragen der heutigen Zeit anzuwenden. Und die Kirche hat dieser Gesellschaft als kritische Wegbegleiterin einiges zu den Herausforderungen der Gegenwart zu sagen, "sie muss einen Relativismus verurteilen, der Wahrheit und Mehrheit verwechselt. Sie muss einen Kapitalismus kritisieren, wo die Armen unter die Räder kommen. Sie wird eintreten für das Leben, die Ehe und die Familie" (120) - hier lässt es Kardinal Marx nicht an Deutlichkeit fehlen. Allerdings muss sich die Kirche auch fragen lassen, ob sie die Prinzipien, die sie von der Welt fordert, auch selbst einhält, und auch für ihre eigene Sozialgestalt müssen deshalb die Grundsätze der Katholischen Soziallehre gelten. "Kirche ändert sich" ist das vorletzte Kapitel überschrieben, und tatsächlich ist es ja einfach ein Faktum der Kirchengeschichte, dass die Kirche immer wieder Schritte zur Erneuerung unternommen hat - ohne deswegen die Substanz der Glaubenslehre zu verändern. Rein quantitativ spricht sein Buch zwar deutlich mehr vom Weg struktureller Veränderungen, doch der Münchner Erzbischof betont mehrfach ganz ausdrücklich, dass diese Veränderungen ihren Ausgangspunkt in der Mitte des Glaubens haben und im Gebet und im Gottesdienst tief verwurzelt sein müssen. Strukturelle Fragen der Organisation und der äußeren Gestalt der Kirche sind demgegenüber zwar nachrangig - aber gerade deswegen dürfen sie dem eigentlichen Ziel, der Verkündigung der österlichen Botschaft für alle Menschen, niemals im Wege stehen, und deshalb sind sie auch nicht unwichtig. "Kirche überlebt", aber dazu braucht es die gemeinsamen Anstrengungen aller Gläubigen, und darum werden Gesprächsforen und synodale Formen an Bedeutung gewinnen. Vor allem müsste es auch gelingen, den Glauben bei den Gläubigen "wieder so zu verankern, dass dieser Glaube für sie nicht zunächst ein Problem, sondern eine Quelle der Freude, ja des Glücks ist" (110) , und von dieser Mitte des Glaubens aus auf alles andere zu schauen. In einer Zeit heftiger und in der Öffentlichkeit mit großem Interesse wahrgenommener Debatten um die Zukunft der Kirche ist das Buch des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz ein wichtiger Diskussionsbeitrag, der zu einem verantwortungsbewussten Voranschreiten ermutigt.
Personen: Marx. Reinhard
Re 1.2 Marx
Marx. Reinhard:
Kirche überlebt
ISBN 978-3-466-37152-5 geb. : 12,00 EUR
Darstellungen mit übergreifender Thematik, Sammelwerke, Festschriften - Sachliteratur