Bericht über den kräftezehrenden, aber auch immer wieder beglückenden Pflegealltag an der Seite ihres schwerkranken Mannes. (DR) 2020 erhielt die damals 80-jährige Helga Schubert den Ingeborg Bachmann Preis. In ihrem neuen autobiografischen Buch beschreibt die Autorin den Alltag an der Seite ihres zwölf Jahre älteren Mannes. Der Maler und ehemalige Professor für Klinische Psychologie ist schwer herz- und nierenkrank und muss rund um die Uhr betreut werden. Von gelegentlichen Besuchen einer professionellen Pflegekraft abgesehen, bewältigt Helga Schubert das allein. »Solange er noch hier ist, will ich es ihm so schön wie möglich machen. Er soll sich auf den nächsten Tag freuen. Ich schlage sein Deckbett zurück, leere den Bettbeutel des Blasenkatheters, fühle, ob die Windel nass ist. Ich liebe ihn sehr.« Was nicht heißt, dass ihr das nicht sehr viel abverlangt. Nie kann sie einfach so das Haus verlassen. Will sie eine Lesung halten, bedeutet es enormen Aufwand, jemanden zu finden, der sie ablöst. Ganz zu schweigen davon, dass sie praktisch keine Nacht durchschlafen kann. Dazu kommt, dass ihr Mann an fortgeschrittener Demenz leidet. Nicht immer erkennt er sie: »Dann bist du meine Frau, aber wo sind die anderen beiden, die so aussehen wie du?« Manchmal gelingt es Helga Schubert, solche verstörenden Sätze mit Humor zu nehmen: »Wer weiß, vielleicht bestehe ich ja aus drei Frauen. Vielleicht hat er das gerade erkannt. Nur ich wusste es noch nicht.« Aber freilich gibt es auch Phasen der Verzweiflung. Entschieden wendet sie sich jedoch gegen den häufig geäußerten Rat, sich zurückzunehmen und loszulassen – »das ist doch kein Leben mehr«. Doch die beiden alten Eheleute verbindet eine außergewöhnlich innige Beziehung, in der es auch immer wieder sehr zarte, beglückende Momente gibt. »Wenn ich abends alles Notwendige an ihm gerichtet und für die Nacht vorbereitet hatte, auf seiner Bettkante saß, nur seine Nachttischlampe an war, wir unsere Hände ineinander verschränkten, seine kalten in meine warmen, begann unsere schönste Tageszeit: Er sagte, dass ich seine Mutter, Schwester, sein großer Bruder, die alle tot sind, sein Mann und seine Frau sei. Alles«. Für Helga Schubert ist das Leben auch in dieser schweren Zeit ein Wunder Gottes. Gefühlen der Mutlosigkeit, des Entsetzens und der Angst, was noch auf sie zukommt, begegnet sie mit einem Vers aus dem Matthäus-Evangelium: »Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.« Das sehr berührende, aber unsentimentale Buch kann man nur uneingeschränkt empfehlen.
Personen: Schubert, Helga
Roman Schub
Schubert, Helga:
Der heutige Tag : ein Stundenbuch der Liebe / Helga Schubert. - München : dtv, 2023. - 264 S.
ISBN 978-3-423-28319-9 Festeinband : EUR 24,70 (AT)
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