Krüger, Michael
Das Irrenhaus Roman
Belletristik

Reflexartig wird man unter einem Irrenhaus ein Gebäude verstehen, in dem sogenannte Irre wohnen. Aber bei feinnervigen Autoren kann man durchaus annehmen, dass noch andere Bedeutungen hinter diesem Pauschal-Begriff stecken, ein Haus, bei dem sich alle irren, beispielsweise. Michael Krüger lässt seinen Ich-Erzähler in voller Reife durch das Leben wandeln, er ist freischaffender Philosoph und hat soeben beschlossen, sich der Erforschung der Langeweile zu widmen. Da wird er überraschend mit einer Erbschaft konfrontiert. Die Tante einer Tante vermacht ihm ein Haus in München, in einer Wohnung kann er selbst leben, die anderen dienen dazu, den Lebensunterhalt üppig ins Portemonnaie zu spülen. Obwohl jetzt ideale Bedingungen für Langeweile als Forschungsobjekt herrschen, stellt sich der Zustand der fundamentalen Daseinsleere nur phasenweise ein. "Ich tat nichts!" (10) Bald einmal kriechen die Mitbewohner aus ihren Wohnungen und stellen ihre schwer einzuordnenden Lebensprogramme vor. Der obligate Swap-Verkäufer ist der erste, nichts braucht ein Mensch weniger als eine Anleihe auf Spekulationsbasis, nicht einmal in München gehen solche Geschäfte durch. Auch von den restlichen ist kein übliches Leben zu erwarten. Der Erzähler verdüstert sich in seiner Wohnung und hört Sibelius. "Mein Platz in der Welt war der am Fenster geworden." (27) Regelmäßig trudelt Post an den Vorgänger in der Wohnung ein. Ein gewisser Georg Faust hat offensichtlich an einem großen Gartenroman gearbeitet, der die ganze Welt erklären soll. Aus den Briefen ist zu entnehmen, dass der Roman irgendwo bei einem Lektorat hängen geblieben ist. Der Ich-Erzähler vollzieht einen allmählichen Identitätswechsel und geht ganz im Schriftsteller auf. Als die Polizei das erste Mal vorbeischaut, hat er noch ein wenig Restidentität, so dass er von Georg Faust in der dritten Person reden kann. Nach ein paar Schreibübungen ist er glaubhaft Schriftsteller geworden, was sich an einem potentiellen Heiratsantrag zeigt. Die meisten Menschen nämlich gehen in die Fiktion oder in den Möglichkeitssinn über, wenn sie einen Schriftsteller treffen. So kann ein Heiratsantrag indirekt formuliert werden, wie auch die Hochzeit, das Leben und alles indirekt werden können, wenn man es nur indirekt genug formuliert. "Ich sollte jetzt Georg Faust sein!" (139) Die Schriftstellerei und die Literaturszene lieben das Vage, das nach einer geheimen Logik vollzogen wird. Kaum hat Georg Faust beschlossen, Schriftsteller zu sein, schreibt sich der Roman von alleine und wird bereits im Vorhinein mit einem großen Literaturpreis bedacht. In lichten Momenten denkt der Erzähler an seine glückliche Zeit zurück, als er realiter mit der Langeweile konfrontiert gewesen ist. Er beschließt aus der eigenen Geschichte auszusteigen und alles zu einem Irrtum zu erklären. Das Irrenhaus wird posthum zu einer Fiktion, denn für die Geschichte ist er jetzt tot. "Dann suchte ich das Weite." Michael Krüger, der lebenslange Lektor und Promotor eines intellektuellen Literaturbetriebes, erzählt sehr weise von dieser halbseidenen Münchner Literaturwelt, in der alles zu einem Bonmot werden kann, auch wenn es nicht ausgesprochen wird. Der Literatur muss man wahrscheinlich ordentlich misstrauen, will man nicht in ihrem Irrenhaus landen, als Leser genauso wie als Schreiber. Helmuth Schönauer


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Krüger, Michael

Standort: Bibliothek

DR Krü

Krüger, Michael:
¬Das¬ Irrenhaus : Roman / Michael Krüger. - Innsbruck : Haymon, 2016. - 188 S.
ISBN 978-3-7099-7252-6 fest geb. : ca. EUR 19,90

Zugangsnummer: 0015528001
DR - Belletristik