Schon mit dem Blick aufs Vorsatzpapier sind wir mitten auf dem Bauernhof. Gemütlich reden, kuscheln und lachen Ziege, Hund, Taube, Pferd, Katze und Schwein miteinander. Kathrin Schärer versteht es einmal mehr, den Ausdruck und die Mimik der Tiere so differenziert auszuarbeiten, dass wir allzu Menschliches im Animalischen entdecken und uns flugs auf das Parabelhafte der Geschichte einlassen. Ein ruhiges, flächiges Layout ohne viel Ablenkung und die einfärbigen Hintergründe für den Text lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Details: Kennen wir das hinterlistige Grinsen der Ziege nicht von irgendwo her? Und haben wir nicht den treu-doofen wie einfältigen Blick des Hofhunds auch schon mal gesehen? Eine Seite später ziehen sich die ersten feinen Risse durchs ländliche Idyll. Während die Hoftiere chillen, sitzt da noch die die kleine Maus ganz alleine im Stroh und sucht nach Futter. Kein Trog. Nirgends. Keine Zeit für Späßchen, denen sich die anderen zunehmend grenzüberschreitend hingeben: Schließlich gilt es, sich beim Streichespielen zu übertreffen und die sonst gepflegte Nettigkeit fahren zu lassen. Von Seite zu Seite steigert sich das Erzähltempo und damit der tierische Wettbewerb. Bis vor ahnungsvoll blutrot gefärbtem Hintergrund die Katze an der Reihe ist und sich näher und näher an die Maus heranschleicht. „Der Hund schaut die Katze an. Der Hahn schaut die Katze an. Die Ziege schaut die Katze an.“ In ihren Augen spiegeln sich Entsetzen, Überraschung und Mitleid. Sie greifen nicht ein, sie schauen nur zu. Gaffer gibt es überall. Die Katze wird doch nicht? Doch wie groß ist die Überraschung, als ausgerechnet das als gutmütig belächelte Pferd auf die Maus tritt. „Niemand lacht.“ Alle trollen sich. Wir LeserInnen halten den Atem an. Nicht möglich! Können wir uns so getäuscht haben? Doch dann fängt uns schnell das Happy End ab: Das Pferd wollte die Maus nur unter dem hohlen Huf vor der Katze verstecken! Fesselnd geschrieben und dramaturgisch zugespitzt zieht Lorenz Paulis etwas andere Abenteuergeschichte vom Bauernhof kleine Kinder in ihren Bann. Ältere Leser erfassen die Metaebene und denken derart angeregt einmal mehr über die Grenzen zwischen Gut und Böse, lustig und gemein nach.
Personen: Pauli, Lorenz Schärer, Kathrin
Ethik Böse
Böse / Lorenz Pauli und Kathrin Schärer. - Zürich : Atlantis, 2016. - [32] S. : überw. Ill.
ISBN 978-3-7152-0720-9 fest geb. : ca. € 15,40
Ethik - Buch