„Was ist das hier eigentlich?“, so könnte sich Gabor fragen, der Protagonist aus Michael Wildenhains Roman „Das schöne Leben und der schnelle Tod“. Neu in der Stadt, neu an der Schule und schon stolpert er in eine verwirrende Szenerie aus grotesk geschminkten, Gedichte rezitierenden, bis aufs Blut kämpfenden Teenagern und ihrer überirdisch schönen, halbnackten Begleitung. Ach ja, die Namen der drei lauten Mozart, Luzius und Fee. Kein Wunder, dass Gabor meint, in eins seiner Fantasy-Online-Rollenspiele geraten zu sein: „Noch während der kajalumflorte Anführer damit beschäftigt ist, ein überlegenes Feixen auf sein Gesicht zu malen, lenkt der Staubmantel die eisenbewehrte Dame mit einer Bewegung der rechten Hand ab, greift mit der linken nach dem Knüppel, zerrt sie zu sich heran und stößt ihr mit der Stirn die Armierung tiefer ins aufspringende Fleisch – Blut auf beiden Seiten.“ Tatsächlich wird Gabor jedoch erst Zeuge, dann Statist und schließlich Mitspieler in einer verwirrenden Vielecks-Beziehung zwischen zwei erbitterten Feinden, die einmal Freunde waren, und ihren Geliebten. Zunächst zufällig, dann jedoch aktiv verstrickt er sich immer tiefer in eine Geschichte um Freundschaft und Verrat, in ein Spiel auf Liebe und Tod. „Was ist das hier eigentlich?“ – auch einige von Wildenhains Leser/innen dürften sich diese Frage bei der Lektüre stellen, und nicht nur einmal. Hemmungslos plündert der Autor Biblio- und Mediatheken, mixt Marvel-Helden mit Gedichten von Kästner und Brecht, Martial-Arts-Szenen mit SM-Klischees, lässt sich von Filmen wie „A clockwork orange“ und „Eiskalte Engel“ ebenso inspirieren wie von Online-Games. Sein Roman fordert den Voyeurismus seiner Leser heraus, bedient die Lust an Sex & Gewalt, Klischees und Tabus. Die Akteure sind keine Alltagsmenschen; es sind extreme, überzeichnete, sich selbst stilisierende Charaktere. Durch die Augen des Ich-Erzählers Gabor blickt man zwar nach und nach hinter diese seltsam anmutenden Fassaden – und in deren Abgründe. Dennoch bleibt man bei der Lektüre bis zum Schluss auf Distanz zu ihnen. Selbst dem Ich-Erzähler kommt man nicht wirklich nahe, weil er im Laufe seiner Entwicklung immer weniger wie ein eher durchschnittlicher, aber sympathischer Typ daherkommt, der achtgeben muss, im Kampf der Giganten nicht zerquetscht zu werden, sondern selbst mehr und mehr wie ein Action-Held agiert – leinwandtaugliche Lässigkeit, Furchtlosigkeit und Abgebrühtheit inklusive. So hinterlässt die Lektüre einen ambivalenten Eindruck, denn die Mängel des Romans sind zugleich seine Stärken. Trotz ihrer gerade zu Beginn auch sprachlich überfrachteten Anlage entwickelt die Geschichte im Verwirrspiel zwischen den Figuren und ihren lange im Unklaren bleibenden Motiven Spannung, die bis zum Finale anhält. Also was ist das hier eigentlich: ein nicht ganz gelungener Jugendroman oder eine vielversprechende Vorlage für ein Drehbuch? Beides.
Altersempfehlung: ab 12 Jahren.
Personen: Wildenhain, Michael
Wildenhain, Michael:
¬Das¬ schöne Leben und der schnelle Tod / Michael Wildenhain. - Frankfurt am Main : Fischer, 2019. - 238 S.
ISBN 978-3-7373-5621-3 Festeinband : EUR 15,00
Romane und Erzählungen für Jugendliche ab 12 Jahre - Signatur: Wilde - Buch