Rez.: Es ist für den ehrwürdigen Dichterfürsten aus Weimar wenig schmeichelhaft, was die Autorin Sigrid Damm bei ihren Recherchen über seine Ehe mit Christiane Vulpius zu Tage gefördert hat. In der Literatur wurde Christiane häufig als seine Mätresse oder ein schönes Stück Fleisch beschrieben. "Gründlich ungebildet", sagte Thomas Mann über sie, für Schiller, der sie zeitlebens ignorierte, war sie "ein rundes Nichts". Wer war diese Frau, die, bevor sie Goethe im Juli 1788 erstmals traf, mit ihrer Tätigkeit in einer Blumenwerkstatt ihre Familie versorgte, da der Vater arbeitslos war, die Stiefmutter sterbenskrank im Bett lag und der Bruder das Gymnasium besuchte? Ganz sicher kein weltfremdes Dummchen, denn sie hat entgegen dem Hofklatsch in Weimar das Wagnis auf sich genommen, ihre große Liebe zu leben, Goethes Sohn August zunächst ohne die Sicherheit einer standesgemäßen Ehe zur Welt zu bringen und großzuziehen. Christiane führt an der Seite Goethes kein intellektuelles, durchgeistigtes Leben -- es ist fraglich, ob sie je eine Zeile seiner Werke gelesen hat --, denn sie hat die Haushalte in Jena und Weimar zu versorgen, seine zahlreichen Gäste zu bewirten und ihm den Rücken für sein Schaffen freizuhalten. Sehr schäbig wird Goethes Verhalten, als sie 1815 erkrankt. Für ihn ist jede Krankheit eine Arbeitsstörung, die sein ästhetisches Empfinden verletzt. Als sie stirbt, läßt er sie mit furchtbaren Krämpfen und Schmerzen allein. Eine wenig bekannte Seite des Verfassers der schönen Gedichtzeile "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut". --Manuela Haselberger
Personen: Damm, Sigrid
Bi 2 Vulp
Damm, Sigrid:
Christiane und Goethe / Sigrid Damm. - 21., unveränd. Aufl. - s.l. : Insel, Frankfurt, 2002. - 540 S.
ISBN 978-3-458-16912-3
Einzelbiographien, die existentielle und allgemeinmenschliche Grunderfahrungen in den Mittelpunkt stellen (Verfolgung, Widerstand, Flucht und Vertreibung, Behinderung, Krankheit und Leid, Tod und Trauer usw.) - Buch