Opulent angerichtete King Lear-Adaption im zeitgenössischen Indien. Tragödie um das Erbe eines Industriemoguls mit drei Töchtern. (DR) Neudeutungen europäischer Literaturklassiker in einer globalisierten Welt haben Saison im britischen Literaturbetrieb. Nach der Euripides-Bearbeitung "Hausbrand" von Kamila Shamsie verlegt Preti Taneja Shakespeares King Lear in das Indien des Jahres 2012. Gleich vorweg: Der Übersetzerin Claudia Wenner ist hoher Respekt zu zollen, denn das umfangreiche Werk ist zwar aus dem Englischen übersetzt, enthält aber zahlreiche Einschübe in Hindi und pausenlos Fachausdrücke aus der indischen Alltagskultur - von den Speisen über Mode bis zur Film- und Medienwelt. Wenners Glossar und Nachwort sind unersetzlich für eine gewinnbringende Lektüre. Der alte Devraj führt seine "Company" wie es einem ehemaligen Maharadscha gebührt, auch wenn er allgemein "Bapuji", also Väterchen, genannt wird. Seine drei Töchter bringen sich in das Unternehmen auf unterschiedliche Weise ein. Daneben gibt es den Berater und Freund Ranjit Singh, dessen unehelicher Sohn Jevan gerade aus den USA zurückkehrt, sowie seinen ehelichen Sohn Jeet. Der jungen Generation, die die Macht im Firmenimperium übernehmen soll/will, ist Person für Person ein langes Kapitel des Romans gewidmet - aus der jeweiligen Sicht. Der alte Chef darf dazwischen wirre Erinnerungen und Geschichten erzählen. Die Figur des Narren, die in King Lear sehr prominent ist, kommt wohl der alten Großmutter zu, eine Maharani, die vieles im Leben gesehen hat und die weiß, was es bedeutet, zu herrschen und beherrscht zu werden. Die Konzentration auf die einzelnen Figuren macht deren Sicht sehr plastisch, nimmt der Geschichte aber das Tempo, sodass Leser_innen neben Interesse für indische Kultur auch viel Geduld mitbringen müssen. Erst nach gut 200 Seiten erkennt man die King-Lear-Dramaturgie deutlich. Dann wird es aber spannend und der Showdown in Kaschmir wirkt vergleichsweise überstürzt. Preti Taneja zeigt, dass der Kampf um Macht und Einfluss in einem vom Wirtschaftsboom trunkenen Imperium eine Generationenfrage und eine Frage der Geschlechterrollen ist. Ihr Buch stellt aktuelle politische Themen Indiens, wie Korruption, das Erstarken eines frauenfeindlichen Hindu-Populismus, aber auch soziale und ökologische Reformvorhaben in den Kontext von gerechter Machtverteilung. Dass alles in einer Tragödie endet, ist nicht nur der Vorlage geschuldet. *bn* Josef Mitschan
Personen: Taneja, Preti
Taneja, Preti:
Wir, die wir jung sind / Preti Taneja. - 1. Auflage. - München : C.H.Beck, 2019. - 628 Seiten. - aus dem Englischen übersetzt
ISBN 978-3-406-73447-2 fest geb. : EUR 26,00
Schöne Literatur - Signatur: Tanej - Buch