Die vorliegende Arbeit untersucht das Märchen auf seine Bezüge zur psychotherapeutischen Behandlung von Kindern. Terminologischen und etymologischen Aspekten der Märchenforschungen, die auf seine mittelhochdeutsche Abstammung zu dem Wort 'die Märe' verweisen, folgen die Erkenntnisse LÜTHIs, dessen Darstellungen die fünf gattungsspezifischen Merkmale des Märchens erfassen. Kreisen die Themen im Märchen um allgemein menschliche Problematiken, deren umfassende Wiedergabe sich durch die dem Märchen eigentümliche sublimierende Kraft ergibt, so zeigen die tiefenpsychologischen Beiträge das Märchen nicht nur als archetypisches Volksgut, sondern verweisen auch auf seine Repräsentanz in Träumen und Wunschvorstellungen von psychisch devianten Patienten. Während dann die Einwände der historischen Pädagogik das Märchen zunächst als nicht kindgemäße Lektüre erscheinen lassen, so überzeugen jedoch die gewonnenen entwicklungspsychologischen Erkenntnisse für die Verwendbarkeit des Märchens in der psychotherapeutischen Praxis mit Kindern. Sie vermuten im Handlungsschema des Märchens die Ausgestaltung kindlicher Lebensstrukturen und zeigen, daß das Kind infolge seines magischen, symbolischen oder phantastischen Denkvermögens einen direkten Zugang zum Märchen finden kann. Als "Schlüssel zur Welt" sind Märchen eine echte Lebenshilfe für das Kind und bieten Lösungsmöglichkeiten nicht nur zur Angstbewältigung, sondern für jegliche psychische Störungen, deren Vielzahl sich in den präsentierten Ätiologiekonzepten dokumentiert. Auf die spezifisch entwicklungspsychologischen Konstitutionen der jungen Patienten abgestimmt, ergeben sich dann im Rahmen der Kinderpsychotherapie neben tiefenpsychologischen Ansätzen, verhaltenstherapeutisch, humanistisch oder interpersonell ausgerichtete Modelle, auf deren methodische Möglichkeiten die Märchentherapie zurückgreift. Allerdings gewinnt das Märchen durch seine spezifisch stilistische und strukturelle Ausformung schon an sich Bedeutung für den kinderpsychotherapeutischen Einsatz. Innerhalb seines thematisch geschlossenen Kommunikationssystems zeigen sich psychodiagnostische und therapeutische Wirkungsprozesse des "Ankerns" und der Selektion, deren therapeutische Qualität durch die kompensierende Kraft der Projektion noch erweitert wird. Behandelt inbesondere das Lieblingsmärchen modellhaft die für das Kind aktuellen psychischen Probleme, so ermöglicht u.a. die "flächenhafte" Charaktere des Helden identifikatorische Prozesse mit fast jedem Märchen. Um diese heilenden und anregenden Verarbeitungsangebote therapeutisch auszuschöpfen, bedarf es aber adäquater Ausdrucksmöglichkeiten, deren methodischer Katalog vom bloßen Zuhören, über die 'autobiographische' Nacherzählung bis hin zur freien Märchenproduktion des Klienten reicht. Eine psychodiagnostische Auswertung dieser Phantasien numinosen Charakters unterliegt dann spezifischen inhaltlichen sowie formalen Kriterien. Innerhalb der Gestalttherapie, deren erlebnisorientierte Ebene die Kinderpsychotherapie den Vorzug gibt, erzielen psychodramaturgische, visuelle oder musikalische Nachgestaltungen ebenso eine tiefendynamische Behandlung.
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Weiterführende Informationen
Personen: Kallen, Daniela
Kallen, Daniela:
Märchen in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern / Daniela Kallen. - Hamburg : Diplom.de, 2006. - 1 Online-Ressource (138 Seiten)
ISBN 978-3-8428-0705-1
Klinische Psychologie - elektronische Ressource