Ein Lehrer aus Paris, dessen Frau und Sohn am letzten Urlaubstag verschwunden sind, versucht, sie wiederzufinden und wird dabei immer tiefer in den Sog der mysteriösen Dorfgemeinschaft gezogen. (DR) Herman, ein Lehrer aus Paris, beschließt, nicht wie üblich am 31. August, sondern erst einen Tag später nach Hause zu fahren. Doch kurz davor sind Frau und Sohn spurlos verschwunden. Als er versucht, die beiden wiederzufinden, stößt er bei den Bewohnern des Ferienortes auf Desinteresse. Es wird ihm geraten, sich ein Zimmer zu mieten und möglichst nirgends anzuecken. So gerät Herman immer mehr in die eigenartige Atmosphäre des Dorfes, in ein Netz von Abhängigkeiten und Gepflogenheiten, dem er sich schließlich gar nicht mehr entziehen kann, ja es erlahmt auch sein Wille dazu und Frau und Sohn erscheinen ihm wie ferne Schatten. Der Autorin gelingt es von der ersten Seite an, eine unheimliche Stimmung zu erzeugen, die zunehmend größer wird. Die Reaktionen der Dorfbewohner auf die Appelle für Unterstützung sind beklemmend - ausweichend und aberwitzig zugleich. Doch das stärkste Unbehagen löst die Wesensveränderung des Protagonisten selbst aus, der sich wie in einem alptraumhaften Dornröschenschlaf immer mehr seiner Umwelt angleicht. Marie NDiaye, die nach der Veröffentlichung ihres Romans "Drei Frauen" auch im deutschsprachigen Raum große Bekanntheit erlangt hat, stellt in dem vorliegenden Roman, der in Frankreich bereits 1994 erschienen ist, ihre Fähigkeit, eine zunächst real anmutende Begebenheit ins Surreale gleiten zu lassen, virtuos unter Beweis. Es ist sicher kein Zufall, dass man bei der Lektüre immer wieder an Kafka erinnert wird. "Ein Tag zu lang" ist eine fesselnde Lektüre mit Tiefgang, die nachdrücklich empfohlen werden kann.
Personen: NDiaye, Marie Kalscheuer, Claudia
NDiaye, Marie:
¬Ein¬ Tag zu lang : Roman / Marie NDiaye. Aus dem Franz. von Claudia Kalscheuer. - Berlin : Suhrkamp, 2012. - 158 S.
ISBN 978-3-518-42333-2 fest geb. : ca. € 16,50
Buch