Stell dir vor, deine Eltern bekommen ein Baby mit einem Gendefekt und einer „schlechten Prognose“. Alle um dich herum sind darauf fokussiert, traurig, verzweifelt. Da begegnet dir im Traum ein Zauberwesen, das dir verspricht, das Problem zu lösen, wenn du dich ihm anvertraust. – So ergeht es Steven, der in einen schrecklichen Alptraum gerät, aus dem er am Ende – ausgestattet mit Glaube, Liebe, Hoffnung – wieder erwacht. „Es war ein schlimmer Wespensommer“, in dem Steves kleiner Bruder Theodor geboren wird. Man weiß nicht, ob er überleben oder für welche Beeinträchtigungen der Gendefekt sorgen wird. Während sich die Eltern auf das kranke Baby konzentrieren und seine kleine Schwester Nicole noch unbeeindruckt von den Veränderungen scheint, wird Steve – der sensible, von Ängsten und Zwangsneurosen geplagte Ich-Erzähler – nach einem Wespenstich, auf den er allergisch reagiert, in seinen Träumen von einer engelsgleichen Wespenkönigin in ihr Nest gelockt. Sie zeigt Empathie für seine Situation und verspricht zu helfen, wenn er sich ihr anvertraut. Im Wunsch, dass alle wieder glücklich sein können, geht Steve einen Pakt mit ihr ein und erkennt erst dann ihren Plan: Sie will seinen Bruder nicht heilen, sondern durch ein perfektes Baby, das sie mit ihren Arbeiterwespen im am Hause befindlichen Nest erschafft, ersetzen. Steve ist hin- und hergerissen zwischen Faszination und Empörung und gerät mit der Wespenkönigin in eine harte Diskussion über Normalität und den Wert des Lebens. Antagonisten der Wespenkönigin sind der unheimliche Messermann, der tagsüber als Messerschleifer durch die Siedlung fährt, sowie Herr Niemand, eine mysteriöse Stimme, die sich am Spieltelefon von Steves kleiner Schwester meldet, ihn vor der Wespenkönigin warnt, an das geschärfte Messer erinnert und ihn im großen Horrorfinale à la Hitchcock im Kampf gegen den bösen Wespenengel unterstützt. Baby Theo (der Name ist Programm und Symbol zugleich) wird so von Steve gerettet. „Das Nest“ ist eine faszinierende, symbolisch verdichtete Horror-Parabel, die sich wie eine Replik auf Sloterdijks „Regeln für den Menschenpark“ (1999) liest. Die schwarz-weißen Bilder des renommierten Illustrators Jon Klassen unterstützen die Imagination, das Einfühlen und Gruseln. Über den spannenden Plot werden junge Leser hier in die ethische Debatte um Gentechnologie eingeführt und trotz eines subtilen Plädoyers für Humanität zu einer persönlichen Auseinandersetzung aufgefordert. – Ein preisverdächtiger, preiswürdiger Titel, der der Kinderliteratur etwas zutraut!
Personen: Oppel, Kenneth Klassen, Jon (Ill.) Knuffinke, Sandra (Übers.) Komina, Jessika (Übers.)
JE.D
OPP
Oppel, Kenneth:
¬Das¬ Nest / Kenneth Oppel. Mit Ill. von Jon Klassen. - Hamburg : Dressler, 2016. - 217 S. : Ill. - Aus dem Amerikan. von Jessika Komina und Sandra Knuffinke
ISBN 978-3-7915-0005-8 fest geb. : ca. € 13,40
JE.D - KuJ-Belletristik